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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Autoren: Michael Boccacino
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Dabei konnte ich in seinen Augen lesen, dass es wirklich so schlimm war, wie ich insgeheim gefürchtet hatte. Wir standen beide Nanny Prum näher als alle anderen, und einen Moment lang gab es nur uns beide in der Küche, miteinander verbunden durch den beginnenden Schmerz des Verlustes und die fast schon vertraute Gewissheit ihres Todes.
    »Aber da war ein Mann. Ich habe ihn gesehen!« Susannah erholte sich zusehends. Sie saß am Küchentisch und aß Kekse, die ihr Mrs. Mulbus mit ihren fleischigen Fingern regelrecht in den Mund stopfte. Brickner zupfte an seinem Schnurrbart, während er sie beobachtete.
    »Ich behaupte aber, dass kein Mann so etwas fertig bringt.« Er führte das nicht weiter aus, aber die Betonung der Worte genügte, um mir vorzustellen, was von meiner Freundin am Waldboden übrig geblieben war. Nanny Prum war selbst eine gestandene Frauensperson gewesen, und für das, was mit ihr geschehen war, hätte es außer der offensichtlichen Brutalität auch einer ebenso außerordentlichen Kraft bedurft.
    »Vielleicht hat er die Leiche vor Ihnen entdeckt und rannte weg, um nicht für den Mörder gehalten zu werden.« Konstabler Brickner nahm sich zwei Kekse und dann einen weiteren und schlang sie hinab. Schließlich schob ihm Susannah den Teller hin, aber Mrs. Mulbus nahm ihn mit einem entrüsteten Blick wieder an sich, bevor er ihn leer essen konnte.
    »Er kam auf mich zu, als ich zu ihr hin lief. Er wollte sich auf mich stürzen.« Susannahs Stimme wurde lauter, doch Brickner schüttelte mit selbstgefälliger Überzeugung den Kopf.
    »Kein Mensch wäre zu so etwas fähig. Es muss ein Tier gewesen sein. Da bin ich mir ganz sicher.« Susannah fuhr von ihrem Sessel hoch, doch Lionel kam mit Fredericks gerade zur Tür herein, und statt auf den Konstabler loszugehen, wie es den Anschein gehabt hatte, sank sie in die Arme ihres Mannes. Sie war ein schluchzendes Nervenbündel, und er machte sich gleich mit ihr auf den Weg nach Hause. Mr. Darrow schloss sich Roland und Brickner zur Bergung der Überreste von Nanny Prum an, während Mrs. Norman und ich uns zurück auf unsere Zimmer begaben.
    »Jemand wird es den Kindern sagen müssen«, meinte die Hausdame.
    Mir war nicht klar, ob sie mich damit beauftragte, oder darum bat, es selbst machen zu dürfen, so nickte ich nur müde. Die kommenden Tage würden nicht angenehm sein. Die Kinder hatten in den letzten Jahren vom Tod schon zu viel miterlebt. Ihre Mutter, Mrs. Darrow, war im Jahr davor gestorben, und den Verlust einer weiteren Frau in ihrem Leben würden die gebrochenen Herzen der Buben nur schwer verkraften.
    »Morgen«, sagte ich leise. Als ich Ellen von ihrer Aufsicht im Kinderzimmer entband, schliefen die beiden zu meiner Erleichterung tief und fest. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und schlüpfte aus meinem Wintermorgenrock und unter die Bettdecke, wo sich die Wärme längst verflüchtigt hatte. Doch ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich träumte selten zweimal von den gleichen Dingen, aber in dieser Nacht quälte mich die Furcht, ich würde mich in dem endlosen, geheimnisvollen Ballsaal wiederfinden, wenn ich die Augen schloss; dieses Mal begleitet von der imposanten Gestalt Nanny Prums, während wir inmitten all der fremden Personen tanzten und dem Mann in Schwarz tiefer und tiefer in die Dunkelheit folgten.
    Ich stand auf und hielt an der Tür mit der Hand auf der Klinke beklommen inne. Ich wusste sehr gut, was geschehen würde, wenn ich mein Zimmer verließ und durch die düsteren Korridore von Everton wanderte und Unterschlupf an jenem Ort suchte, zu dem ich immer ging, wenn ich die Alpträume nicht mehr ertragen konnte.
    Ich öffnete die Tür und trat auf den Gang hinaus. Die Luft war kühl im Haus, doch der Teppich fühlte sich weich und warm an unter den Sohlen meiner Füße. Ich nahm die Treppe im Ostflügel und gelangte zu einer Doppeltür, die ich an einem ähnlichen Abend vor Monaten, kurz nach meiner Ankunft in Everton, entdeckt hatte.
    Der Verlust Jonathans war besonders schmerzlich in jenerNacht gewesen, aber ich wollte nicht allein in meinem Zimmer sein und weinen. Ich musste mich von der Trauer lösen, sie irgendwo wegsperren, wo ich sie in anderen einsamen Nächten herausholen könnte, um mich ihr in der Dunkelheit hinzugeben, die jenseits der Mitternacht wartete.
    Hinter der Doppeltür mochte sich einst ein Musikzimmer befunden haben. Die Instrumente lagen jetzt mit Tüchern bedeckt an den Wänden verstaut. Das einzige übrig
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