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Chamäleon-Zauber

Titel: Chamäleon-Zauber
Autoren: Piers Anthony
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daß er doch ein schlummerndes Talent haben könnte?
    Sabrina, die seine Gedankenverwirrung respektierte, begann mit ihrer Holographie. Ein blauer Schleier erschien vor ihr und ruhte auf der Steigung. Er dehnte sich aus, wurde an den Rändern dünner und in der Mitte dichter, bis er zwei Fuß Durchmesser hatte. Er sah aus wie dichter Rauch, aber er verteilte sich nicht und schwebte auch nicht davon.
    Nun begann sie zu summen. Sie hatte eine schöne Stimme – keine großartige Stimme, aber eine, die für ihre Art von Magie gerade richtig war. Die blaue Wolke fing an zu zittern und verfestigte sich, bis sie zu einer groben Kugel geworden war. Dann änderte Sabrina ihre Stimmlage, und der äußere Rand wurde gelb. Sie öffnete den Mund, sang das Wort »Mädchen«, und die Farben nahmen die Gestalt eines jungen Mädchens in einem blauen Kleid mit gelben Borten an. Die Gestalt war dreidimensional und konnte von allen Seiten aus einer anderen Perspektive gesehen werden.
    Es war eine schöne Fähigkeit. Sabrina konnte alles formen – aber die Bilder verschwanden, sobald ihre Konzentration nachließ, und sie hatten niemals irgendwelche Stofflichkeit. Genaugenommen war dies also eigentlich nutzlose Magie. Sie verbesserte ihr Leben in materieller Hinsicht in keiner Form.
    Doch wie viele Talente halfen ihren Besitzern schon wirklich? Der eine konnte dafür sorgen, daß ein Baumblatt unter seinem Blick verschrumpelte und verwelkte. Ein anderer konnte den Geruch von saurer Milch fabrizieren. Wieder ein anderer konnte irrsinniges Gelächter aus dem Boden hervorsteigen lassen. Das war alles Magie, aber was nutzte sie? Warum sollten sich solche Leute als Bürger von Xanth qualifizieren können, während Bink, der klug, stark und hübsch anzusehen war, disqualifiziert war? Und doch war dies die unumstößliche Regel: kein nichtmagischer Mensch durfte länger als fünfundzwanzig Jahre bleiben.
    Sabrina hatte recht: Er mußte sein Talent feststellen. Er hatte es nie allein feststellen können, also mußte er den Preis des Guten Magiers zahlen. Das würde ihm nicht nur das Exil ersparen – das in Wirklichkeit schlimmer als der Tod war, denn was für einen Sinn hatte ein Leben ohne Magie? –, sondern ihm auch Sabrina bescheren, was erheblich besser war als der Tod. Außerdem würde es seine gebrochene Selbstachtung wiederherstellen. Er hatte keine Wahl.
    »Oh!« rief Sabrina und schlug sich mit den Handflächen auf ihr straffes Hinterteil. Die Holographie löste sich auf; das Mädchen in dem blauen Kleid zuckte grotesk, bevor es verschwand. »Ich brenne!«
    Bink trat beunruhigt näher. Doch sofort erscholl lautes Gelächter. »Numbo, hör auf damit!« rief Sabrina und wirbelte wütend herum. »Das ist überhaupt nicht witzig!«
    Es war natürlich Numbo, der ihr einen magischen Heißsitz verpaßt hatte, einen feurigen Schmerz im Hinterteil. Nutzlose Talente! Mit zusammengeballten Fäusten ging Bink auf den grinsenden Jungen zu, der hinter dem Ausblicksfelsen stand. Numbo war fünfzehn, frech und eine Plage; er verdiente eine Lektion.
    Aber Binks Fuß rutschte auf einem losen Stein aus. Es tat zwar nicht weh, bremste aber sein Tempo. Seine Hand schwang vor – und seine Finger berührten eine unsichtbare Wand.
    Wieder erscholl Gelächter. Bink war dank des Steins nicht voll gegen die Wand geprallt, aber offensichtlich dachte irgend jemand, daß er das getan hätte.
    »Du auch, Chilk!« sagte Sabrina. Das war Chilks Talent: die Wand. Es war eine Art von Ergänzung zu Sabrinas Talent: Anstatt sichtbar zu sein, ohne Substanz zu haben, hatte es Substanz, ohne sichtbar zu sein. Es war nur sechs Fuß im Quadrat groß und war, wie so viele Talente, nur von vorübergehender Art – aber im ersten Augenblick war die Wand so hart wie Stahl.
    Bink hätte drumherum laufen und das Kind erwischen können, aber er wäre mit Sicherheit noch mehrmals gegen diese Wand gelaufen und hätte schließlich mehr Schaden davongetragen als das Kind, wenn er es erwischt hätte. Das war die Sache nicht wert. Wenn er nur ein eigenes Talent gehabt hätte, dann hätte er es dem Witzbold schon heimzahlen können, aber das war nicht der Fall, und das wußte Chilk auch. Jeder wußte es. Das war ja auch Binks Problem: Alle Scherzbolde betrachteten ihn als ideales Opfer ihrer Streiche, weil er sich nicht wehren konnte – jedenfalls nicht auf magische Weise, und es galt als unfein, anders zu reagieren. Aber im Augenblick war er durchaus dazu bereit, unfein zu
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