Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
Vom Netzwerk:
sich eine offene, strohgedeckte Hütte, die sogenannte
»Kriegergedächtnis-Ruhe«, die im Jahre 1951 in dankbarer Erinnerung an die
Toten zweier Kriege und als Zufluchtsstätte für die Müden und Alten errichtet
worden ist. Niemand scheint danach gefragt zu haben, was die Müden und Alten
in Merries Field verloren haben könnten, aber wenigstens die Spinnen haben
eine Zufluchtsstätte unter dem Dach, und als Sitzplatz war die Hütte den
Monteuren der Mäste bei ihren Mahlzeiten außerordentlich bequem und willkommen.
    Kurz nach
acht traf Smiley dort zu Fuß ein, nachdem er seinen Wagen vor der
Polizeistation abgestellt hatte, die etwa zehn Minuten entfernt war.
    Es regnete
heftig, und die Tropfen, die einem der Wind ins Gesicht blies, waren so kalt,
daß es fast schmerzte.
    Die
Polizei von Surrey hatte kein weiteres Interesse an der Sache, aber trotzdem
hatte Sparrow einen Beamten der Sonderabteilung hingeschickt, der auf der
Polizeistation bleiben und nötigenfalls als Verbindungsmann zwischen dem
Sicherheitsdienst und der Polizei fungieren sollte. Über die Todesart Fennans
bestand kein Zweifel. Er war durch die Schläfe aus kurzer Entfernung mit einer
kleinen französischen Pistole, die in Lille im Jahre 1957 hergestellt worden
war, erschossen worden. Man hatte sie unter der Leiche gefunden. Alle Umstände
ließen auf Selbstmord schließen.
    Das Haus
Nummer fünfzehn in der Merridale Lane war niedrig, im Tudorstil gebaut, mit den
Schlafzimmern in den Giebeln; der Oberteil der Garage war Zimmermannsarbeit. Es
sah vernachlässigt aus, fast verwahrlost, als hätten irgendwelche Künstler
drin gewohnt, dachte Smiley. Fennan schien nicht hierher zu passen. Man konnte
sich eher vorstellen, daß er in Hampstead wohnte und ausländische Mädchen au pair bei ihm
arbeiteten.
    Er klinkte
das Gittertor auf und ging langsam die Auffahrt zum Eingang hinauf, wobei er
vergeblich versuchte, durch die verbleiten Fensterscheiben zu spähen. Es war
bitterkalt. Er läutete.
    Elsa
Fennan öffnete die Tür.
    »Sie haben
angerufen und gefragt, ob es mir recht ist. Ich wußte nicht recht, was ich
sagen sollte. Bitte, kommen Sie herein.« Ein Anflug von deutschem Akzent klang
mit.
    Sie mußte
älter sein, als Fennan gewesen war. Eine kleine, erregte Frau in den Fünfzigern
mit kurzgeschnittenem, nikotinfarben aufgefärbtem Haar. Obwohl sie zart war,
machte sie einen zähen und beherzten Eindruck, und die braunen Augen, die aus
ihrem verschrobenen kleinen Gesicht leuchteten, waren von erstaunlicher
Brillanz. Es war ein verbrauchtes Gesicht, das vor langer Zeit verheert und
zerstört worden war, das eines Kindes, das unter Hunger und erschöpfenden
Entbehrungen aufwächst, das Gesicht des ewigen Flüchtlings, das Gesicht aus den
Lagern, dachte Smiley.
    Sie hielt
ihm ihre Hand hin - sie griff sich knöchern an. Er sagte ihr seinen Namen.
    »Sie sind
der Herr, der meinen Mann einvernommen hat«, sagte sie. »Über seine
Loyalität.« Sie führte ihn in das niedrige dunkle Wohnzimmer. Es brannte kein
Feuer. Smiley war plötzlich elend zumute. Loyalität, wem oder was gegenüber?
Es klang nicht erbittert. Er war ein Unterdrücker, aber sie akzeptierte
Unterdrückung.
    »Ihr Mann
war mir sehr sympathisch. Die Sache wäre in Ordnung gewesen.«
    »In
Ordnung? Was wäre in Ordnung gewesen?«
    »Es lag
dem ersten Anschein nach ein Grund zu einer Untersuchung vor - ein anonymer
Brief - und man hat mir den Fall übertragen.« Er machte eine Pause und sah sie
mit echter Teilnahme an. »Sie haben einen schrecklichen Verlust erlitten, Mrs.
Fennan ... Sie müssen ja vollkommen erschöpft sein. Sicher haben Sie die ganze
Nacht nicht geschlafen . . .«
    Sie
reagierte nicht auf seine Sympathie: »Danke, aber heute kann ich kaum hoffen zu
schlafen. Schlaf ist ein Luxus, dessen ich mich nicht erfreue.« Sie blickte
schräg auf ihren eigenen kleinen Körper hinunter. »Ich und mein Körper müssen
zwanzig Stunden am Tag miteinander auskommen. Wir beide haben schon länger
gelebt als die meisten Menschen . . . Ein schrecklicher Verlust, ja, das glaube
ich. Aber verstehen Sie mich recht, Mr. Smiley, ich habe so lange Zeit nichts
besessen als eine Zahnbürste, daß ich mich eigentlich nie mehr an Besitz
gewöhnt habe, auch nicht nach acht Jahren Ehe. Übrigens habe ich Übung darin zu
leiden.«
    Sie lud
ihn mit einem Kopfnicken ein, Platz zu nehmen, raffte mit einer merkwürdig
altmodischen Bewegung ihr Kleid und setzte sich ihm gegenüber. Es war sehr
kalt in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher