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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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er
sonderbarerweise noch nie etwas gehört hatte. Jebedee, sein Lehrer, hatte sich
merkwürdig vage ausgedrückt, als er ihm die Sache erklärte: »Versuch es mit
diesen Leuten, vielleicht behalten sie dich; sie zahlen so schlecht, daß du
sicher in guter Gesellschaft sein wirst.« Aber Smiley war verärgert gewesen und
hatte das auch gesagt. Er machte sich Gedanken darüber, daß Jebedee, der sich
doch sonst immer so präzis ausdrückte, auswich. Ein wenig mißmutig willigte er
aber ein, seine Entscheidung auf Allerseelen zu verschieben, bis er Jebedees
mysteriöse »Leute« gesehen hätte.
    Er wurde
den einzelnen Mitgliedern der Kommission nicht besonders vorgestellt, doch
kannte er ungefähr die Hälfte vom Sehen. Da war einmal Fielding, der in
Cambridge über das französische Mittelalter las, Sparke aus dem Institut für
orientalische Sprachen und Steed-Asprey, der an demselben Abend am
Professorentisch diniert hatte, als Smiley Jebedees Gast gewesen war. Er mußte
zugeben, daß er beeindruckt war. Denn daß Fielding seine Wohnung, von
Cambridge gar nicht erst zu reden, verließ, war schon an und für sich ein
Wunder. Später dachte Smiley an dieses Interview immer als an einen Schleiertanz,
eine genau berechnete Folge von Enthüllungen, von denen jede eine andere
Einzelheit eines geheimnisvollen Ganzen zeigte. Endlich entfernte
Steed-Asprey, der der Vorsitzende zu sein schien, den letzten Schleier, und
die Wahrheit stand in ihrer ganzen verwirrenden Nacktheit vor ihm. Man bot ihm
einen Posten in einer Organisation an, die Steed-Asprey mangels eines besseren
Namens schamhaft als Geheimdienst bezeichnete.
    Smiley
hatte um Bedenkzeit gebeten. Sie gaben ihm eine Woche. Geld wurde nicht
erwähnt.
    An diesem
Abend aß er irgendwo in London in einem ziemlich guten Lokal und ging ins
Theater. Er fühlte sich merkwürdig wirr im Kopf, und das bedrückte ihn. Er war
sich völlig darüber im klaren, daß er ja sagen würde. Das hätte er schon gleich
bei der Unterredung tun können. Es war nur instinktive Vorsicht und vielleicht
der verzeihliche Wunsch, sich Fielding gegenüber ein bißchen zu zieren, der ihn
davon abhielt, sofort einzuschlagen.
    Nachdem er
sich verpflichtet hatte, kam das Training: anonyme Landhäuser, anonyme
Instruktoren, viele Reisen, die immer weiter wurden, und schließlich die
phantastische Aussicht, ganz auf sich allein gestellt zu arbeiten.
    Sein
erster Posten im Einsatz war verhältnismäßig amüsant. Zwei Jahre als englischer
Lektor an einer kleinen deutschen Universität: Vorlesungen über Keats und
Ferien in bayrischen Jagdhütten mit Gruppen von feierlich ernsten deutschen
Studenten der verschiedensten Herkunft. Gegen Ende der langen Ferien pflegte
er einige von ihnen nach England zu bringen, von denen er schon die
wahrscheinlich in Frage kommenden über geheime Verbindungen an eine Adresse in
Bonn bezeichnet hatte. Während der ganzen beiden Jahre hatte er keine Ahnung,
ob seine Empfehlungen berücksichtigt wurden oder nicht. Er wußte nicht einmal,
ob man an seine Kandidaten herantrat oder nicht, noch hatte er eine Möglichkeit,
festzustellen, ob seine Botschaften je ihren Bestimmungsort erreichten. Und
wenn er in England war, hatte er keinen Kontakt mit dem Department.
    Seine
Gefühle bei der Durchführung seiner Arbeit waren gemischt und einander
widersprechend. Es reizte ihn, von einem Beobachtungspunkt aus das, was er als
den »potentiellen Agenten« in einem Menschen zu definieren gelernt hatte, zu
finden und auszuwerten, Miniaturtests des Charakters und des Verhaltens zu
erfinden, die ihn über die Qualitäten eines Kandidaten informieren konnten.
Dieser Teil von ihm war blutlos und unmenschlich. In dieser Rolle war Smiley
der internationale gekaufte Söldner seines Berufes, unmoralisch und ohne
anderes Motiv als das seines persönlichen Vorteils.
    Auf der
anderen Seite betrübte es ihn, in sich das langsame Absterben natürlicher
Freude zu bemerken. Immer auf der Hut, fand er, daß er vor der Versuchung der
Freundschaft und menschlichen Loyalität zurückschreckte, und er wappnete sich
ängstlich gegen spontane Reaktionen. Durch die Kraft seines Intellekts zwang
er sich, die Regeln der Menschlichkeit mit peinlichster Objektivität
einzuhalten, und weil er auch nur ein Mensch und nicht unfehlbar war, haßte und
fürchtete er die Falschheit seines Lebens.
    Aber
Smiley war ein sentimentaler Mensch, und das lange Exil vertiefte seine innige
Liebe zu England. Hungrig zehrte er von den
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