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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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diesem Zimmer. Smiley überlegte, ob er reden sollte. Er wagte nicht,
sie anzusehen, sondern starrte nur vor sich hin und versuchte im Geiste, das
abgespannte, verbrauchte Gesicht von Elsa Fennan zu durchdringen. Es schien
endlos zu dauern, bevor sie zu sprechen begann.
    »Sie
sagten, daß er Ihnen sympathisch war. Offensichtlich haben Sie Ihrerseits ihm
diesen Eindruck nicht vermittelt.«
    »Ich habe
den Brief Ihres Mannes nicht gesehen, aber ich habe von seinem Inhalt gehört.«
Smileys ernstes, rundes Gesicht wandte sich ihr jetzt zu. »Es reimt sich
einfach nicht zusammen. Ich habe ihm direkt gesagt, daß er so gut wie . . .
daß wir empfehlen würden, die Angelegenheit als bereinigt zu betrachten.«
    Sie
wartete bewegungslos. Was konnte er sagen? -»Tut mir leid, daß ich Ihren Mann
umgebracht habe, aber ich habe nur meine Pflicht getan.« (Pflicht wem
gegenüber, um Himmels willen?) »Er war in der kommunistischen Partei in Oxford
vor vierundzwanzig Jahren. Seine vor kurzem erfolgte Beförderung gab ihm
Zutritt zu höchst geheimen Akten. Irgendein Wichtigtuer hat einen anonymen
Brief geschrieben, und uns ist nichts anderes übriggeblieben, als der Sache
nachzugehen. Das Verhör hat Ihren Mann in eine Art Melancholie versetzt, die
ihn zum Selbstmord getrieben hat.« - Er sagte nichts.
    »Es war
ein Spiel«, sagte sie plötzlich. »Ein alberner Balanceakt mit Ideen. Es hat
nichts mit ihm oder irgendeiner anderen wirklichen Person zu tun gehabt. Warum
bemühen Sie sich? Gehen Sie zurück nach Whitehall und sehen Sie sich in Ihren
Schreibtischladen nach anderen Spionen um.« Sie machte eine Pause, ohne ein
weiteres Zeichen der Erregung zu geben außer dem Flackern ihrer dunklen Augen.
»Es ist eine uralte Krankheit, an der Sie leiden, Mr. Smiley«, fuhr sie fort
und nahm eine Zigarette aus der Dose. »Und ich habe schon viele Opfer dieser
Krankheit gesehen. Der Verstand löst sich vom Körper, er denkt ohne Realität,
regiert in einem Königreich aus Papier und erfindet ohne Gemütsbewegung den
Untergang seiner Papieropfer. Aber manchmal hat die Trennungswand zwischen
eurer Welt und unserer Löcher. Die Akten werden zu Köpfen, Armen und Beinen,
und das ist eine schreckliche Situation, nicht wahr? Die Namen haben neben den
Dossiers auch Familien und menschliche Motive, die die traurigen kleinen
Aktennotizen und konstruierten Vergehen erklären können. Wenn so was passiert,
dann tut ihr mir leid.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Es ist
wie mit dem Staat und dem Volk. Der Staat ist auch so ein Traum, ein Symbol für
nichts, ein Vakuum, ein Geist ohne Körper, ein Spiel, das mit Wolken am Himmel
gespielt wird. Aber Staaten führen Krieg, nicht wahr, und sperren Menschen ein.
In Doktrinen zu träumen, wie sauber ist das doch! Mein Mann und ich sind jetzt
gesäubert worden, hab ich nicht recht?« Sie sah ihn starr an. Jetzt war ihr
Akzent deutlicher zu hören als früher.
    »Ihr nennt
euch den Staat, Mr. Smiley. Unter Menschen aus Fleisch und Blut ist für euch
kein Platz. Ihr habt aus heiterem Himmel eine Bombe fallen lassen. Kommt jetzt
nicht herunter und seht euch das Blut an oder hört euch das Stöhnen an.«
    Sie hatte
ihre Stimme nicht erhoben und sah über ihn hinweg in die Ferne.
    »Ich
glaube, Sie sind schockiert. Ich sollte wahrscheinlich weinen, aber ich habe
keine Tränen mehr, Mr. Smiley, ich bin ausgedörrt. Die Kinder meines Schmerzes
sind tot. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Mr. Smiley. Sie können
wieder zurückgehen. Hier können Sie nichts weiter tun.«
    Er saß
vorgelehnt in seinem Stuhl und rieb auf den Knien seine dicken Hände
aneinander. Er sah gequält und scheinheilig aus wie ein Kolonialwarenhändler,
der das Evangelium liest. Die Haut seines Gesichtes war weiß und glänzte an den
Schläfen und über der Oberlippe. Nur unter seinen Augen war Farbe. Hellviolette
Halbmonde, die durch die Fassung seiner Brille in zwei Teile geteilt wurden.
    »Hören
Sie, Mrs. Fennan, diese Einvernahme war fast eine Normalität. Ich glaube sogar,
daß sie Ihrem Mann direkt Vergnügen machte. Ich vermute, er war sogar
glücklich, es überstanden zu haben.«
    »Wie
können Sie so etwas sagen, wie können Sie das, wo doch . . .«
    »Aber ich
sage Ihnen doch, daß es wahr ist. Nicht einmal in einem Amt haben wir das
Palaver abgehalten. Wie ich hingekommen bin, habe ich gleich gesehen, daß
sein Büro eine Art Durchzugstraße zwischen zwei anderen Räumen ist, deshalb
sind wir hinaus in
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