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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Geräusch ging die Tür auf. Sofort wurde der Geruch intensiver. Curt betrachtete den Türrahmen, der mit kräftigem Gummidichtungsband ausgekleidet war. Als er die Tür etwas weiter aufschob, stellte er fest, dass sie ungewöhnlich schwer war. Das war keine normale Tür - und auch keine, die seit Jahren nicht mehr geöffnet worden wäre, davon zeugte die Falte im Teppich und das war auch der Tür selbst anzusehen.
    Curt war jetzt in Habachtstellung und hielt die Spritze einsatzbereit in der Hand.
    »Carl Mørck«, sagte er leise, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Dann stieß er die Tür weit auf. Der Anblick, der sich ihm bot, haute ihn förmlich um.
    Von hier kam also der Geruch, und seine Ursache war unübersehbar.
    Er ließ den Blick über die bizarre Szenerie gleiten - über Carl Mørck, der leblos am Boden lag, und über fünf eingetrocknete, muffig riechende tote Leiber, die mit eingefrorenen Mienen um den festlich gedeckten Tisch saßen und auf ihre letzte Mahlzeit warteten. Über graue, groteske Totenschädel mit staubigen, gleichsam welken Haaren und zurückgezogenen Lippen, die schwarzgelbe Zähne freigaben. Niemals zuvor hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Leere Augenhöhlen, die auf Kristallgläser und Silberbesteck starrten. Durchsichtige Haut über hervorstehenden Knochen und dicken Sehnen. Um die Tischkante gekrümmte Finger mit braunen Nägeln, die nie mehr nach irgendetwas greifen würden.
    Er schluckte und trat dann in den Raum, in dem es zwar intensiv, aber nicht eigentlich nach Verwesung roch. Auf einmal wusste er, woran der Geruch ihn erinnerte. Es war, als öffnete man eine Glasvitrine mit ausgestopften Vögeln. Tod und Ewigkeit auf einmal.
    Fünf Mumien und zwei leere Plätze. Curt trat zu dem nächstliegenden freien Platz. Auf der Tischkarte hinter dem Gedeck stand mit zierlicher Schrift Nete Hermansen . Für wen der zweite leere Platz bestimmt war, konnte er sich leicht vorstellen. Für wen, wenn nicht für ihn selbst?
    Was für eine verschlagene, teuflische Person, diese Nete Hermansen.
    Er bückte sich und betrachtete prüfend den Kriminalbeamten auf dem Fußboden. Haare und Schläfen waren blutverklebt, aber noch immer tropfte etwas Blut auf den Boden. Aller Wahrscheinlichkeit nach lebte der Mann also noch. Curt Wad tastete nach der Halsschlagader und nickte zufrieden. Einerseits, weil Nete die Arme und Beine des Polizisten effektiv mit breitem Teppichklebeband verschnürt hatte, andererseits, weil der Puls war, wie er sein sollte, regelmäßig und konstant. Sonderlich viel Blut hatte Carl Mørck auch nicht verloren. Ohne Zweifel ein übler Schlag, aber doch nicht so hart, um mehr als eine Gehirnerschütterung auszulösen.
    Wieder blickte Curt zu dem leeren Platz, der ihm zugedacht gewesen war. Was für ein Segen, dass er die Einladung damals nicht angenommen hatte! Er versuchte nachzurechnen, wie lange das genau her sein mochte. Das war gar nicht so einfach. Aber zwanzig Jahre waren es mindestens. Na, dann brauchte man sich kaum zu wundern, dass die Gäste an der Tafel etwas müde wirkten.
    Er lachte vor sich hin, während er über den Flur zu seiner bewusstlosen Gastgeberin zurückkehrte.
    »Hoppala, kleine Nete. Jetzt endlich kann das Fest beginnen.«
    Er schleppte sie in den abgedichteten Raum und hievte sie auf den Stuhl an der Stirnseite des Tischs, den die Platzkarte als ihren auswies.
    Wieder spürte Curt dieses Unwohlsein. Schwer atmend stand er einen Moment neben dem Tisch, dann riss er sich zusammen, ging zur Wohnungstür und holte sein Köfferchen. Mit der Lässigkeit der Ärzte knallte er es auf den Tisch neben Netes Gedeck und nahm eine unbenutzte Spritze sowie eine Ampulle Flumazenil heraus. Ein kleiner Schuss, und Nete würde zurückkommen in die Realität.
    Sie zitterte etwas, während die Kanüle einstach und er ihr die Flüssigkeit injizierte. Schließlich öffnete sie langsam, zögernd die Augen, als wüsste sie bereits, dass die Wirklichkeit sie gleich übermannen würde.
    Curt lächelte sie an und tätschelte ihre Wange. Nur noch wenige Minuten, dann würde man wieder mit ihr sprechen können.
    »Und was machen wir mit Carl Mørck?«, murmelte er vor sich hin und sah sich um. »Ah. Hier haben wir ja eine besonders bequeme Sitzgelegenheit«, sagte er, nickte den düsteren, erstarrten Gästen zu und zog einen Sessel mit dunklen Flecken auf der Sitzfläche neben Netes Armstuhl.
    Anschließend bückte er sich, packte den stattlichen Vizepolizeikommissar, der ihm so viel
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