Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
funktioniert, wenn eine Familie oder eine Gruppe, ein Clan oder eine Sippe wie die unsere sich plötzlich auf einem Minenfeld wiederfindet, weder umkehren noch zur Seite ausweichen, sondern sich nur bekreuzigen kann und vorangehen muss, koste es, was es wolle, nur vorwärts, eine andere Lösung gibt es nicht?
    Nun, in solchen Fällen müssen die Alten vorausgehen, zuerst die Alten und dann nach und nach – wenn sie nach und nach in die Luft fliegen, aber doch den Weg zeigen, auf dem man hinauskommen kann – gehen erst die Männer, dann die gebärfähigen Frauen und zuletzt die Kinder. Das ist menschliches Gesetz, für das Überleben der Gruppe und zur Erhaltung der Art. Erst die Alten und nach und nach alle anderen.
    Als die Hündin Gina in die Luft flog und Großmutter sagte: »Was machen wir jetzt?«, schlug Großvater vor: »Warten wir, bis es hell wird«, denn, so dachte er, dann würde er die eine oder andere Mine erkennen und ihr ausweichen können, ohne blindlings im Schlamm herumzutappen. Aber als sie sagte: »Ja, aber dann sehen die Amerikaner uns auch«, gab Großvater auf: »Aber ja, was soll das schon sein, eine Stunde mehr oder ein Tag weniger?« Er zündete sich eine Zigarre an, tat einen tiefen Zug und ging los.
    Großmutter hielt ihn mit einem Arm zurück. Den Arm hart und steif vor seiner Brust. Genau zwischen Brust und Magen.
    Er versuchte, dagegenzudrücken und ihn beiseitezuschieben, um voranzugehen auf dem Weg, von dem er wusste, dass es seiner war.
    Sie dagegen gab nicht nach mit dem Arm. Und als er und alle anderen ein Gesicht machten, wie um zu sagen: »Aber was fällt dir denn ein?«, herrschte Großmutter ihn an: »Du nicht.«
    »Und wer sonst?«, dachten die anderen, aber keiner sagte etwas. Alle reglos und mucksmäuschenstill, Panik im Leib, ohne zu verstehen, wen es treffen würde.
    Großmutter reglos und unerbittlich. Schweigend.
    Da begriff, wer begreifen sollte.
    Es war ein Augenblick.
    Armida setzte den kleinen Menego ab und gab ihn Tante Santapace, die ihm schon weinend die Arme entgegenstreckte, um ihn zu nehmen. »Nur Mut, Armida, nur Mut!«, wisperte der Eukalyptus dort hinten bei dem Abzugskanal, der das Feld begrenzte. Und Armida ging zum Karren – er stand mit dem Maultier am Ende der Reihe, hinter allen –, nahm ein Bienenhaus, sagte zur ihren Bienen »Gehen wir«, und zwischen allen Peruzzi hindurch, die zur Seite wichen, ging sie voran. »Los, ihr Bienen«, und auf das Minenfeld.
    Wwwwuuu, wwwuuu, wwwuuuh , machten die Bienen über der feuchten Erde. Sie schnupperten hier und schnupperten dort. Mit Beinchen und Stacheln versuchten sie, die Schollen umzuwenden. Wwiiuuu, wwiiuuu, wwiiuuuh , machten sie jedes Mal, wenn sie etwas Seltsames bemerkten. Dann blieb Armida stehen und wandte sich dorthin, wo sie ihr das sagten. Aus einem Säckchen mit Mehl, das sie über dem dicken Bauch trug und das Großmutter ihr ohne ein Wort zugesteckt hatte, bevor sie auf das Minenfeld ging, streute sie unterdessen eine weiße Mehlspur aus, um denen hinter sich den Weg zu weisen, die ihr einer hinter dem anderen im Abstand von etwa zwanzig Metern folgten: »Kann die denn nicht schneller gehen?«, sagte die eine oder andere meiner Tanten.
    Armida war schweißüberströmt. Die Bienen mal wuoh, wuoh, wuoh , dann wieder wiuh wiuh wiuh . Im Zickzack hin und her. Irgendwann gelangte sie mitsamt den Bienen unter einen Eukalyptusbaum, zwei Schritte vom Begrenzungskanal entfernt. Im Osten in Richtung Sezze stieg hinter der Kette der Lepiner Berge schon das erste Licht der Morgendämmerung empor und ergoss sich über den Agro Pontino. Armida spürte einen Stich im Bauch, und die Fruchtblase platzte. Ein Wasserfall. Ganz warm fühlte sie es zwischen den Beinen herunterlaufen, und die Bienen schwirrten um sie herum: Wroooh, wrrooh, wrroooh .
    Da hockte Armida sich neben dem Eukalyptusbaum nieder – »Ganz ruhig, Armida, ganz ruhig«, wisperte der –, und ich kam zur Welt. Mit der gesamten Plazenta. So bin ich auf einem Minenfeld zur Welt gekommen. Und sofort waren die Bienen an mir dran – erzählte meine Mutter –, während sie, an den Baum gelehnt, versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Mit den Zähnen biss sie die Nabelschnur durch.
    Ich machte am Boden »Bäh«, nur einmal »Bäh«, um den ersten Atemzug zu tun, ohne weiter zu schreien. Ich war von einem ganz schwarzen Mantel überzogen – sagte meine Mutter –, ganz schwarz und gelb von all den Bienen, die auf mir herumkrabbelten und mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher