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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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Sonst weinte es nie. Es gab nur kleine Freudenschreie von sich und lächelte und lachte jeden an, der es nahm, vor allem aber die Bienen, die summ …. summ … summ! immer um es herum waren, es zum Lachen bringen wollten, ihm Geschichten erzählten und ihm über Hände und Gesicht krabbelten. Schließlich erwiderte auch Großmutter sein Lächeln. Und gewann es lieb.
    Später aber – am Schluss – mussten wir Hals über Kopf aus Cori fliehen, denn auf allen Gebirgspfaden hatte sich die Kunde von den Vergewaltigungen durch die echten Marokkaner verbreitet, also denen aus Marokko und Algerien. Sie waren mit den französischen Truppen gekommen, um zuerst auf dem Monte Cassino ihr eigenes Leben zu riskieren und dann das Leben unserer armen Marokkaner – und vor allem Marokkanerinnen – aus dem Liri-Tal und auf den Bergen, die den Agro Pontino umgeben, in Gefahr zu bringen. Zweitausend Frauen zwischen acht und achtzig, so die Schätzungen der Franzosen selbst – auch wenn die Dunkelziffer bei sechzigtausend liegt – sowie achthundert vergewaltigte Männer, darunter auch ein Priester, und weitere achthundert ermordet, weil sie ihre Frauen schützen wollten oder sich weigerten, bei den Vergewaltigungen zuzusehen. »Genau wie wir in Afrika«, sagte dann Onkel Adelchi: »Was du säst, wirst du ernten.« Da flohen auch wir Hals über Kopf aus Cori – »Wenn wir sterben müssen, dann lieber zu Haus« –, denn die Gerüchte besagten, die echten Marokkaner würden übers Gebirge näher rücken. Also nix wie weg – »Bevor sie kommen« – am Grat entlang nach Norma und in Richtung Agro Pontino, wo noch die Deutschen und die Amerikaner miteinander kämpften.
    In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai kamen wir auf den Felsen von Norma – die Reste und Ruinen der antiken latinischen Stadt Norba –, noch mit dem Karren und unserem Maultier, das mein armer Großvater die ganzen vier Monate unserer Evakuierung mit Zähnen und Klauen verteidigt hatte. Er tat nachts kein Auge zu, aus Angst, Großmutter oder sonst wer könnte es umbringen. Es herrschte Hunger. »Essen wir das Maultier«, sagte Großmutter jeden Tag.
    »Aber du bist ja verrückt! Esst lieber mich, aber nicht das Maultier.«
    Wir blieben dort oben – in Höhlen und zwischen den Trümmern der antiken Tempel versteckt – den ganzen 24. Mai und die darauffolgende Nacht, während aus der Ebene Kampflärm zu hören war: Maschinengewehrsalven, Kanonenschüsse, Panzer, Handgranaten.
    Am Morgen des 25. Mai 1944 – »Gehen wir nach Haus, gehen wir nach Haus«, sagte Großmutter, »bevor die Marokkaner kommen«, und diesmal meinte sie die echten Marokkaner aus Marokko, nicht unsere, die sich das Brot vom Mund abgespart hatten, um es uns zu geben –, am Morgen des 25. traten wir an den Rand des Steilhangs des antiken Norba und sahen unter uns die ganze Ebene unseres Agro Pontino. Littoria und das Meer im Hintergrund, den Seengürtel von Sabaudia und Fogliano, den Monte Circeo dort linker Hand, die auf einer Fläche von zwölftausend Hektar überschwemmten Felder, von den Deutschen zwischen Pontinia und Terracina wieder in Sumpf verwandelt, und dann die Ebene, noch mit Schüssen und Rauch von Bränden und Explosionen hier und da, aber direkt vor uns, ganz klein, der Glockenturm von Borgo Podgora, er stand noch, und daneben auf der Seite nach Cisterna hin – es gab uns einen Stich ins Herz – klar und deutlich erkennbar der Einschnitt unseres Canale Mussolini und das silbrige Band seiner Wasser, das sich in der Sonne schimmernd dahinzog.
    »Gehen wir nach Haus«, sagte Großmutter, und wir begannen den Berghang hinunterzusteigen.
    Da war noch das »Barbarigo«, das Bataillon Barbarigo der Decima Mas , es zog als letztes aus dem Agro Pontino ab, mit seinen Matrosen – lauter Jungs, auch aus unserer Gegend, die am Berghang, vom Fuß bis zum Kamm hinauf aufgefächert, zurückwichen, geduckt von einem Olivenbaum zum nächsten liefen, von einem Kaktusfeigenstrauch zum nächsten und von einem Felsvorsprung zum anderen, sich hin und wieder umdrehten und auf die amerikanischen Infanteristen schossen, die ebenfalls geduckt zwischen den Olivenbäumen vorrückten. Sie waren die letzte Nachhut und hatten den Abzug der deutschen Einheiten in Richtung Rom zu decken. Auch am anderen Ende des Agro Pontino – im Norden, hinter Aprilia und Pomezia – bildeten, wie Sie wissen, die Fallschirmspringereinheiten Nembo und Folgore die Nachhut, die »die letzte Verteidigung Roms« versuchten. In
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