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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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Uhr setzt einen Uhrmacher voraus. Oder: Die erste Ursache kann von nichts verursacht sein. Mir war damals sogar die Sache mit dem Uhrmacher neu, und als die beiden damit rausrückten, dachte ich: ›Na endlich, das setzt sogar Donovans Gehirn schachmatt!‹ Aber keine Spur! Sie haben diese blödsinnigen Syllogismen ...«, (wieder falsch ausgesprochen), »... einfach in der Luft zerfetzt. Die beiden begriffen nichts und kamen immer wieder mit dem gleichen Quatsch an. Aber ich hab’s begriffen! Sie haben mich damals aus dem guten alten Glauben gerissen.«
    »Tut mir leid, Mordecai. Sehr leid. Man macht sich nie klar, wie vielen Menschen man mit den eigenen Irrtümern das Leben vergiften kann. Ich weiß nicht, wie ...«
    »Es tut Ihnen leid? Ich wollte damit sagen, daß ich Ihnen dankbar bin. Sie werden das seltsam finden, weil Sie ja schließlich auf meine Veranlassung in dieses Erdloch verschleppt worden sind. Aber Sie werden es hier besser haben als in Springfield. Haast hat mir das Tagebuch gezeigt, das Sie dort geführt haben. Diese Misere haben Sie hinter sich. Ich muß allerdings zugeben, daß ich Haast nicht nur aus altruistischen Gründen gebeten habe, Sie hierher bringen zu lassen. Für mich war es die Chance, einem erstklassigen, echten, gedruckten Dichter zu begegnen. Sie haben es wirklich geschafft, Sacchetti, was?«
    Unmöglich, alle Empfindungen zu definieren, die in dieser einzigen Frage mitschwangen. Bewunderung, Verachtung, Neid und etwas, das ich fast aus allem, was er bisher zu mir gesagt hatte, spüren konnte: eine Art arrogante Heiterkeit.
    »Ich nehme an, Sie haben Die Hügel in der Schweiz gelesen?« fragte ich zurück. Gibt es einen Schriftsteller, den die Eitelkeit nicht dazu verführt, bei der ersten Gelegenheit eine solche Frage zu stellen?
    Mordecai zuckte die kaum vorhandenen Achseln. »Stimmt.«
    »Dann wissen Sie auch, daß ich über die unausgegorenen materialistischen Vorstellungen von damals hinaus bin. Gott existiert, auch ohne Aquinas. Glaube ist mehr als die Kunst der Beweisführung.«
    »Ich pfeif’ auf den Glauben, ich pfeif’ auf Ihre epigrammatischen Weisheiten! Sie sind nicht mehr mein großer Bruder! Jetzt bin ich Ihnen um zwei Jahre voraus, Freundchen. Und was Ihre neue Frömmigkeit betrifft - ich habe sie trotzdem hierher bringen lassen und trotz einiger verdammt schlechter Gedichte.«
    Dieser Hieb saß.
    Mordecai lächelte; sein Zorn war nach diesem Ausbruch verraucht. »Ich bin auch auf einige verdammt gute Gedichte gestoßen. George gefiel das Buch im ganzen besser als mir, und er versteht mehr von diesen Dingen. Immerhin ist er schon länger hier. Was halten Sie von ihm?«
    »Von George? Er wirkt sehr ... angespannt. Ich fürchte, für mich war das alles zuviel auf einmal. Mit euch hier unten kann ich’s noch nicht aufnehmen, zumal ich in Springfield in einem geistigen Vakuum gelebt habe.«
    »Reden Sie doch keinen Mist! Wie hoch ist denn ihr I. Q.?«
    »Sollte man in meinem Alter überhaupt noch vom I. Q. sprechen? 1957 kam ich einmal auf 160; ich weiß allerdings nicht, welchen Punkt der bewußten Lernkurve ich damit erreicht hätte. Aber was bedeutet schon ein schriftlicher Test? Es kommt einzig darauf an, wozu man seine Intelligenz gebraucht.«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Ist sie nicht ein Biest?« Er sagte das leichthin, aber ich hatte zum erstenmal den Eindruck, daß er ein Thema einigermaßen ernst nahm.
    »Was tun Sie hier, Mordecai? Und was ist das hier überhaupt? Was wollen Haast und Busk von euch?«
    »Das hier ist die Hölle, Sacchetti, haben Sie das nicht gewußt? Oder der Vorhof der Hölle. Die versuchen, unsere Seelen zu kaufen, damit sie aus unseren Leibern Hackfleisch machen können.«
    »Sie dürfen mir also nicht die Wahrheit sagen, stimmt’s?«
    Mordecai wandte sich ab und ging hinüber zum Bücherregal. »Wir sind Gänse, und Haast und Busk mästen uns mit der abendländischen Kultur. Mit Naturwissenschaft, Kunst, Philosophie, mit allem, was sie in uns hineinstopfen können. Und trotzdem -

    Ich bin nicht satt, ich bin nicht satt.
    Man hat mir oft den Magen ausgespült,
    Und doch kann ich das Essen
    nicht behalten - es nicht einmal berühren. Ach!
    Ich bin nicht satt.«

    Das Gedicht war von mir. Daß er es zitierte, löste zwiespältige Empfindungen in mir aus. Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, daß er gerade diese Stelle auswendig wußte (denn auf sie bin ich besonders stolz), andrerseits war ich ergriffen von der Bitterkeit seiner
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