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Camel Club 02 - Die Sammler

Titel: Camel Club 02 - Die Sammler
Autoren: David Baldacci
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entschieden, dass es zu spät sei. In Wahrheit verdiente er sie gar nicht mehr.
    Er nahm einen tiefen Atemzug, steckte die Schlüssel in die Tasche und sah sich im Lesesaal um. Die nach dem Vorbild der Independence Hall mit ihrer georgianischen Pracht gestaltete Räumlichkeit übte augenblicklich eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Besonders gefielen DeHaven die an jedem Tisch stehenden Lampen mit den Kupferschirmen. Von diesem Anblick angetan strich er mit der Hand über einen der Lampenschirme, und das bittere Gefühl des Versagens, die einzige Frau verloren zu haben, die ihn hätte glücklich machen können, schwand ein wenig.
    DeHaven durchmaß den Raum und zückte unterwegs seine dienstliche Ausweiskarte. Er hielt sie dem Computer ans Scannerfeld, nickte den Überwachungskameras zu, die über der Tür an die Wand geschraubt waren, und betrat die Tresoranlage. Die Gewölbe jeden Morgen aufzusuchen bedeutete für ihn ein tägliches Ritual; es half ihm gewissermaßen beim Aufladen der Batterien und untermauerte seine ihm lieb gewordene Vorstellung, dass es in seinem Leben um nichts anderes ging als um Bücher.
    In dem Gewölbe wurde mit hohen Kosten eine permanente Klimakontrolle betrieben. Zwar stützte sich die Bibliothek auf ein ziemlich schmales Budget, doch eine gleichbleibende Temperatur von 15 Grad und eine relative Luftfeuchtigkeit von 68 Prozent gewährleisteten, dass ein altes Buch wenigstens noch ein paar Jahrhunderte überdauerte.
    Angesichts eines Bundeshaushalts, der unweigerlich stets mehr Geld für den Krieg als für friedliche Zwecke erübrigt hatte, erachtete DeHaven den zusätzlichen Aufwand als vertretbar. Für einen Bruchteil der Kosten, die eine Rakete verschlang, könnte er auf dem freien Markt sämtliche Werke erwerben, die die Bibliothek bräuchte, um ihre Raritätenabteilung zu vervollständigen. Doch Politiker glaubten, dass Raketen für Sicherheit sorgten – dabei waren es Bücher, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Unwissenheit begünstigte Kriege, und Menschen, die viel lasen, blieben selten unwissend. Vielleicht war das eine allzu vereinfachende Philosophie, doch DeHaven blieb ihr treu.
    Er verbrachte ein paar Minuten in der geweihten Atmosphäre der Jefferson-Kammer und blätterte in einer Ausgabe der Werke des Tacitus, jenes römischen Geschichtsschreibers, den der dritte US-Präsident so sehr bewundert hatte. Dann schloss er den Tresor mit der Sammlung Lessing J. Rosenwalds auf, dem einstigen Direktor von Sears & Roebuck, der der Bibliothek seine kostbaren Inkunabeln und Codices gestiftet hatte, die nun nebeneinander auf einem Metallregal standen.
    Während sein Blick über die in den Regalen aufgereihten Bücher glitt, dachte DeHaven an seine Privatsammlung, die er in einem speziellen Tresorraum im Keller seines Wohnhauses pflegte. Groß war die Sammlung nicht, doch sie stellte ihn zufrieden. Jeder Mensch sollte irgendetwas sammeln, lautete DeHavens Auffassung. Man fühlte sich dadurch lebendiger und der Welt enger verbunden.
    Nachdem er sich zwei Bücher angesehen hatte, die frisch aus der Restaurationsabteilung zurückgekommen waren, stieg er die Treppe zu den Tresorräumen hinauf, die über dem Lesesaal lagen. Dort gab es eine Sammlung alter medizinischer Literatur aus den USA. Im Zwischenstock gleich darüber hatte man eine große Sammlung von Kinderbüchern untergebracht. DeHaven blieb stehen, um wohlwollend den Kopf einer kleinen Männerbüste zu tätscheln, die schon seit Menschengedenken auf einem Tischchen in der Ecke stand.
    Im nächsten Moment sank Jonathan DeHaven auf einen Stuhl und starb. Wie die Zuckungen und seine stummen Schreie bewiesen, war es kein leichter und schmerzloser Tod. Als es nach dreißig Sekunden endlich vorüber war, lag DeHaven volle zehn Meter von der Stelle entfernt, wo sein Sterben angefangen hatte. Seine Augen starrten blicklos auf eine Reihe von Mädchenbüchern, auf deren Einbänden man Frauen in Teezeit-Garderobe mit Sonnenhüten sah.
    DeHaven war gestorben, ohne zu wissen, was ihn tötete. Niemand hatte ihm eine Verletzung zugefügt, kein Gift war über seine Lippen geflossen, und auch sein Körper hatte ihn nicht im Stich gelassen; er hatte sich bester Gesundheit erfreut. Und er war ganz allein gewesen.
    Und doch war Jonathan DeHaven tot.
     
    Rund 45 Kilometer entfernt läutete bei Roger Seagraves das Telefon. Er erhielt den Wetterbericht: Auf absehbare Zeit blieb es sonnig und klar. Seagraves beendete das Frühstück, schnappte
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