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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl
Autoren: J Angell
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mich immer noch der Illusion hin, dass dies irgendwie normal, irgendwie in Ordnung sei. Ich redete mir selber ein, dass Kai der einzige Mann auf der Welt war, der die Unterscheidung, die wir zwischen »beruflichem« Sex und »privatem« Sex treffen, wirklich vollkommen verstand, und der erkannte, dass es nichts mit ihm zu tun hatte, wenn ich mich mit Kunden traf.
    Ich dachte nicht darüber nach, dass ich es gewesen war, die die Grenze überschritten und damit auch deren Sicherheit und Schutzwirkung aufgehoben hatte.
    Eines Abends, nachdem wir uns einen Film mit Catherine Deneuve angeschaut, Brandy getrunken und uns geliebt hatten, übernachtete ich in seiner Wohnung und schlief am nächsten Morgen lange aus. Ich lag noch im Bett, als Kai unter die Dusche ging. Normalerweise war ich zu diesem Zeitpunkt schon wieder weg. Wir hatten noch nicht das Stadium erreicht, in dem es normal war, dass ich persönliche Sachen in seiner Wohnung ließ, und da ich mich für gewöhnlich immer noch schick anzog, wenn ich mit ihm ausging, erschien es mir am sichersten, wenn ich mich ganz früh auf den Heimweg machte.
    Ich wollte nicht, dass mich jemand sah und für eine schnelle Eroberung oder einen One-Night-Stand hielt. Ich wollte seinen Ruf schützen. Da sage noch mal einer, ich hätte keinen Sinn für Ironie.
    Doch ich war müde, und unter dem Federbett war es warm, und draußen war es kalt. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, als das Telefon klingelte, als der Anrufbeantworter den Anruf entgegennahm,
als die Stimme eines Mannes die erbetene Nachricht hinterließ …
    »… und ej, Alter, das ist ja wohl echt der Hammer! Dan hat’s mir grade erzählt. Der ganze Campus redet ja von nichts anderem. Eine Nutte für umsonst! Das ist die beste Nummer, die hier seit Jahren abgezogen wurde! Damit wirst du unsterblich, Mann, damit gehst du in die Geschichte ein! Wann führst du uns denn mal vor, was du da an Land gezogen hast? Echt stark. Also dann bis später, du Sexprotz.«
    Klick.
    Ich weiß nicht mehr, wie ich aufgestanden, in meine Kleider und aus der Wohnung gekommen bin. Ich wartete nicht, bis Kai aus der Dusche zurückkam. Ich ließ ihm keinen Zettel liegen. Vielleicht war ich zu geschockt. Oder vielleicht habe ich auch erkannt, dass Worte hier überflüssig gewesen wären.
    Erinnern Sie sich noch an die schlechten Gefühle, mit denen ich gerechnet hatte, als ich anfing?
    Ich auch.
    Scuzzy war hocherfreut über meine Depression. Ich rief meinen Fachbereich an, schützte eine dringende Familienangelegenheit vor und besorgte einen Ersatzlehrer, der meine Kurse übernahm, während Scuzzy auf den noch immer unzensierten Klausuren saß und zustimmend zu nicken schien. Ich blieb bei ihm zu Hause, legte Film auf Film in den Videorekorder ein und Leckerli auf Leckerli in Scuzzys Maul. Ich bestellte mir jeden Abend eine Pizza oder ein anderes Gericht vom Lieferservice, stopfte mich so voll, dass ich beinahe platzte, und machte mir nicht die Mühe, hinterher aufzuräumen, so dass meine Wohnung nach einigen Tagen mit leeren Pizzakartons übersät war. Scuzzy hielt sie für aufregende neue Spielsachen, die ich extra seinetwegen angeschafft hatte. Ich schlief auf dem Sofa ein, ohne es zum Bett aufzuklappen, und Scuzzy schnurrte zufrieden auf meiner Brust. Ich badete nicht, was er vermutlich darauf zurückführte, dass ich
endlich rücksichtsvoller auf seine Abneigung gegen Wasser, Seife und alles Feuchte reagierte.
    Ich wusste, dass Peach anrief, obwohl ich das Telefon und den Anrufbeantworter ausgestöpselt hatte. Es war mir egal. Oh, ich bin schon vorher verlassen worden. Das passiert ja jedem einmal. Aber was hier geschehen war … es war anders. Es war obszön, pervers, schlimmer als jede Demütigungsfantasie, die ich mit Kunden inszeniert hatte. Das waren Experimente, Sublimierungen: Dies war grausame Realität. Er »hatte eine Nutte umsonst gekriegt«. Man konnte mich definieren. Ich war austauschbar. Ich war kein Individuum. Ich war nicht Jen. Ich war nicht mal Tia. Ich war eine Nutte.
    Vielleicht ging es sogar um eine Wette. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie seine Freunde lachten und einen Schluck aus ihren Bierflaschen nahmen: »Unmöglich. Keine Nutte macht je umsonst die Beine breit.«
    »Ich wette mit euch: Ich krieg eine Nutte dazu, dass sie darum bettelt, es umsonst zu machen.« Es musste der ultimative Ego-Trip für ihn gewesen sein, für den Fremden in einem angelsächsischen Land, für den Moslem, der mit Geldscheinen
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