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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition)
Autoren: Susann Julieva
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ließ Maxim den ereignisreichen Tag Revue passieren. Die Augenlider waren ihm schwer, doch er konnte sich nicht sattsehen an diesem, ihm so fremdartig erscheinenden, Ort. Zunehmend von einer warmen, entspannten Müdigkeit umfangen beobachtete er seine Umgebung. Ein neues Zuhause, ein neues Leben. Alles war so schnell gegangen. Schwindelerregend schnell. So schnell, dass es noch gar nicht real schien. Er blieb in seiner Nische, bis irgendwann, spät, endlich alle gegangen waren. Bis Rufus zum letzten Mal die Bar abgewischt und ihm den Weg in den zweiten Stock zu seinem Pensionszimmer gezeigt hatte. Dort fiel er sofort wie erschlagen ins Bett und schlief traumlos wie ein Stein. Denn von jetzt an erwarteten ihn Träume, die bereits seine Tage füllen würden. Und so fing alles an.

Revoschizionäre
     
    Am nächsten Morgen wurde Maxim von einer einäugigen Krähe geweckt, die ihm unverschämterweise die Bettdecke wegzog. „Schabernack! Schabernack!“ krächzte das Federvieh, die Vogelstimme nur mit Mühe verständlich.
    Im ersten Moment fand Maxim nichts Merkwürdiges daran, von einer sprechenden Krähe geweckt zu werden. Er ging einfach davon aus, dass er noch träumte. Das änderte sich, als sie begann, mit ihrem spitzen Schnabel auf seinen Arm einzuhacken. „Aua!“ Innerhalb einer Millisekunde war Maxim aus dem Bett und starrte das gewalttätige Rabentier in seinem Zimmer verschreckt an.
    „Schabernack!“, rief die Krähe nochmals keck, ihn aus ihrem unergründlichen, gesunden Auge betrachtend, und spazierte stolz zur weit offenen Zimmertür hinaus.
    Maxim blinzelte mehrmals und schüttelte den Kopf, als ob er dadurch seine Schlaftrunkenheit abschütteln könnte. Ein Blick auf die Armbanduhr ließ ihn erschreckt feststellen, dass es bereits Mittag war. So lange hatte er in seinem ganzen Leben noch nie geschlafen. Ein seltsames Ernüchterungsgefühl ergriff ihn, so, wie man es oft hat, wenn man an einem fremden Ort erwacht ist. Er sah sich im Raum um. In der Nacht war er zu müde gewesen, um seine neue Bleibe näher zu inspizieren. Die Wände waren hellgrün gestrichen, die Einrichtung schlicht, aber nicht lieblos. Das Fenster ging hinaus zur Wand des fast zum Greifen nahen Nachbarhauses. Delas Pension besaß nur ein winziges Bad, das Maxim sich mit seinen fünf Mitbewohnern teilen musste. Dela und Rufus wohnten im Stockwerk darunter. Es gab keinen Frühstücksraum, nur eine kleine Wohnküche, die die Bewohner nach Belieben nutzen konnten, und deren Pflege ebenfalls ihnen gemeinsam oblag. Maxim lugte vorsichtig hinein. Er warf einen Blick auf den verkrusteten, turmhohen Tellerstapel neben der Spüle, und entschied sich spontan gegen ein Frühstück.
    Die Temperamente der über dem Café hausenden Individualisten waren so unterschiedlich, es grenzte an ein Wunder, dass man die meiste Zeit wunderbar miteinander auskam. Da Dela jedem das Recht zugestand, seine Bleibe nach Belieben zu dekorieren, spiegelte jedes Zimmer auf ganz eigene Weise den mehr oder weniger exzentrischen Charakter seines Bewohners wider. Wenn man zur ausgetretenen, knarrenden Treppe hinaufkam, gehörten die ersten beiden Zimmer links und rechts des Ganges Kätzchen und Maxim. Sie hatte ihre Wände rosa gestrichen, und zwischen Plüsch und künstlichem Leopardenfell verbreitete sie den billigen Charme einer Vorstadt-Barbie.
    Das nächste Raumpaar gehörte Donna und Fidelikus. Der schrullige Maler ließ niemals jemanden in sein Zimmer. Stets öffnete er die Tür nur weit genug, um hindurchschlüpfen zu können und schloss sofort hinter sich ab. Dabei interessierte es die anderen herzlich wenig, was er in seinen vier Wänden meinte verbergen zu müssen. Er war „so ein richtig echter, schöner Spinner“, wie Donna gerne frotzelte. Rufus zufolge war er jedoch harmlos, was im Klartext bedeutete: nicht mehr oder minder verrückt als alle anderen Bewohner, und Maxim schenkte dem anstandslos Glauben.
    Donna hielt ihre Bleibe ganz in existentialistischem Schwarz und gotischer Schwere. Wenn man den düsteren Raum betrat, konnte man sie hauptsächlich an ihrem lila Haarschopf ausmachen. Merlyns kleines Königreich daneben war farbenfroh und indisch-fernöstlich angehaucht. Hinduistische Spruchbänder und Statuen des elefantenköpfigen Gottes Ganesha fanden sich neben einer beeindruckenden, abgegriffenen Schallplattensammlung. Gegenüber befand sich Nonas Zimmer, nicht weitervermietet, geduldig ihre Rückkehr erwartend. Daneben, gegenüber des Bades, lag
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