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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar
Autoren: Gisbert Haefs
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keinem, natürlich, aber wenn, dann am ehesten seinen Kriegern. Du bist ein alter Krieger. Ein alter Centurio.«
    »Und noch etwas.« Der zweite Mann grinste. »Etwas, was wir wissen, aber Caesar nicht.«
    Aurelius schwieg.
    »Du wirst im Gedenken an deine Familie, deine Freunde und deinen Besitz besonders umsichtig sein, nicht wahr? Weil es das Gegenteil dessen ist, was du am liebsten tätest.« Er beugte sich vor und sagte in einem sanften, beinahe liebevollen Ton: »Weil du für Caesar etwas Besonderes empfindest. Etwas, das man hegen sollte. Nämlich Haß.«
     
    Ein guter Redner muß die Pause schätzen, sagte sich Aurelius; vermutlich hatte Cicero vorher festgelegt, daß an dieser Stelle geschwiegen werde. Sie gaben ihm - wenn es nicht zufälliges Abwarten war - die Zeit von etwa zehn Atemzügen, um über das Gesagte und das Gehörte nachzudenken.
    Zehn Atemzüge: genug Zeit, um die Wut niederzuringen, sich der halben Ilias zu entsinnen, eine undurchführbare Staatsphilosophie zu entwerfen, Speisepläne für ein Jahr aufzustellen. Zeit, verschiedene Gedankenstränge nebeneinander zu flechten, zu verknoten und zu einer unbefriedigenden Schlußschleife zu gelangen. Zeit, Gefühle und Erinnerungen zu ordnen.
    Er wußte nicht, was Haß war, und sagte sich, es müsse sich um etwas handeln, was Politikern teuer sei, da sie es immer dann erwähnten, wenn es um angeblich große Dinge ging. Haß auf den Feind des Vaterlands, Haß auf den Verderber der Massen - also immer auf den, der andere Ziele hatte als der jeweilige Sprecher. Abscheu kannte er, Wut, Ekel, und für Cicero empfand er gerade so etwas wie bewundernde Verachtung. Aber Haß? Auf Caesar? Und selbst wenn - woher wollten oder könnten die beiden das wissen? Wann hätte er je über Caesar gesprochen?
    Sein Vater hatte behauptet, Haß zu empfinden: Haß auf Sulla, der seine Veteranen mit Land und Arbeit versorgen mußte und zu diesem Zweck Bauern vertreiben ließ. Römische Bauern, römische Bürger. Wie etwa hundert andere Familien waren die Eltern und Geschwister damals mit dem knapp fünfjährigen Quintus nach Hispanien gegangen, und viel mehr als das römische Bürgerrecht hatten sie nicht mitnehmen können. Später empfand der Vater Haß auf die Götter, die ihm nach zwei Töchtern (Aurelia und Secunda) und sechs Söhnen (Quintus war der fünfte; nach den beiden ersten, Marcus und Titus, gingen den Eltern die Einfälle aus, so wurden die Kinder nur noch durchgezählt: Tertius, Quartus, Quintus, Sextus) die Frau nahmen, und auf die Senatoren in Rom, die gegen die restlichen Gegner Sullas und der Adligen immer wieder Feldherren und Legionen nach Hispanien schickten. Quintus erinnerte sich an Plünderungen und Hitze, Feldarbeit und Schweiß, und da er als Fünfter keine Hoffnungen zu hegen brauchte, jemals mehr als ein Knecht des Vaters oder der älteren Brüder zu sein, waren die Legionen für ihn Ausweg und Zuflucht.
    Als Caesar nach Hispanien kam, hatte Quintus Aurelius das Glück, einer Kohorte anzugehören, die mit dem neuen Prätor in die Berge und weit nach Norden vorstieß, kämpfte, Beute machte und Blut nicht nur vergoß, sondern auch reichlich ließ. Bis zum Ende des Jahres fielen mehrere Centurionen, und Aurelius konnte einen der freigewordenen Plätze einnehmen. Offenbar hatte Caesar Gefallen an ihm und den anderen gefunden, denn als er zwei Jahre später Gallien erhielt und seine dortigen Truppen verstärkte, ließ er unter anderen auch Aurelius‘ Kohorte aus Hispanien nach Norden verlegen. Vier Jahre Schweiß und Blut und Gemetzel folgten, von Narbo nach Helvetien und Britannien, über den Rhenus und zurück in die gallischen Wälder, bis das Schwert eines Bellovacers ihm Verwundung und Abschied bescherte.
    Gaius Iulius Caesar - Haß? Nein. Er betrachtete die allzu entspannten Gesichter seiner Besucher. Auffällig gleichgültig. Er überlegte, ob er etwas sagen sollte, beschloß jedoch abzuwarten. Es wäre ohnehin sinnlos. Wenn er ihnen nun sagte, daß er Caesar gar nicht hasse und überdies nicht einmal wisse, was das sei, würden sie mit der erhabenen Gleichgültigkeit der Reichen und Mächtigen darüber hinwegsehen und ihn allenfalls verspotten, als armen Trottel, der nicht einmal über Haß verfügte, von Macht und Geld nicht zu reden.
    Aber wie kamen sie darauf? Er war sich sicher, nie in Hörweite des feisten Redners von Caesar gesprochen zu haben, und der andere Mann war nie im Contubernium gewesen. Caesar hatte die Existenz
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