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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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mit Herrn und Frau Ragon am Tische sitzen. Als zweiter Kommis in der »Rosenkönigin« bekam er eine Stube für sich, in die er seine bis dahin gesammelten kleinen Besitztümer einschließen konnte; das hatte er sich schon lange gewünscht. Er hatte sich übrigens bereits sechshundert Francs gespart.
    An den Dekadetagen, wo damals nach dem Kalender der Republik die Arbeit ruhte, nahm er an dem Leben und Treiben der jungen Leute jener Zelt teil, denen die Mode vorschrieb, rohe Manieren zur Schau zu tragen. Dadurch bekam dieser sanftmütige, bescheidene Dorfjunge ein Benehmen, das ihn äußerlich nicht von seinesgleichen unterschied. Man vergaß seine bäuerliche Herkunft. Gegen Ende des genannten Jahres wurde er wegen seiner Rechtlichkeit Kassierer. Die stattliche Frau Ragon besorgte seine Wäsche und so gehörte er nunmehr zur Familie seines Prinzipals.
    Im Vendémiaire 1794 erwarb Cäsar für die zweitausend Francs, die er sich bis dahin gespart hatte, Assignaten im Nennwerte von sechstausend Francs und kaufte Renten, die damals dreißig standen. Dieses erste Geschäft machte ihm viel Freude. Fortan verfolgte er den Kurs der Staatspapiere und den der Politik. Jede Kunde von Glück oder Unglück, das die Ereignisse jener Tage begleitete, hallte in ihm wider. Ragon, der ehemalige Hofparfümeur Ihrer Majestät der Königin Marie-Antoinette, vertraute während dieser kritischen Zeit unserm Cäsar seine Anhänglichkeit an die gestürzten Tyrannen an. Das Bekenntnis ward für den jungen Mann im höchsten Grade bedeutungsvoll.
    Die abendlichen Gespräche, die nach Ladenschluß stattfanden, wenn Kasse gemacht und die Straße ruhig geworden war, begeisterten den Tourainer, und indem er Royalist wurde, gehorchte er damit nur angeborenen Gefühlen. Die Erzählungen von den tugendsamen Taten Ludwigs XVI. und die Anekdoten, durch die das Ehepaar die Königin in den Himmel hob, setzten Cäsars Phantasie in Flammen. Das schreckliche Schicksal der beiden gekrönten Häupter, die nicht fern von Ragons Laden unter dem Fallbeil verblutet waren, empörte sein empfindsames Herz und erregte seinen Haß gegen eine Regierung, die unschuldiges Blut vergoß und gleichgültig fließen sah. Bei seiner kaufmännischen Aufmerksamkeit erkannte er an dem völligen Daniederliegen des Handels, daß politische Stürme dem Handel und der Industrie stets feindlich sind. Übrigens war er viel zuviel Parfümhändler, um eine Republik nicht zu hassen, die auf allen Köpfen Titusfrisuren sehen wollte und das Pudern der Haare aus der Mode brachte. Da Ruhe im Staate, wie sie der Absolutismus zeitigt, Geld und Leben sichert, wurde er ein Fanatiker des Königtums. Wie ihn Ragon so auf dem, besten Wege sah, machte er ihn zu seinem ersten Kommis und weihte ihn in das intimste Geschäftsgeheimnis der »Rosenkönigin« ein. Einige ihrer Kunden waren die eifrigsten und treuesten Parteigänger der Bourbonen. Gewisse Briefe zwischen Paris und dem Westen gingen durch die Firma Ragon. Den jungen Birotteau begeisterten diese Beziehungen zu royalistischen Größen dermaßen, daß er sich an der Verschwörung der vereinigten Royalisten und Terroristen beteiligte, die am 13. Vendémiaire gegen den in den letzten Zügen liegenden Konvent ausbrach. Cäsar hatte die Ehre, auf den Stufen der Kirche von Saint-Roch gegen Bonaparte zu fechten und verwundet zu werden. Der Ausgang dieses Handstreichs ist allgemein bekannt. In dem Moment, wo der Adjutant Barras – Napoleon Bonaparte – aus dem Dunkel seiner Existenz heraustrat, verschwand Birotteau von dem Schauplatze der politischen Ereignisse und wurde dadurch gerettet. Einige Freunde trugen den kampflustigen Kommis in die »Rosenkönigin« zurück, wo er in seinem Giebelstübchen von Frau Ragon verbunden wurde. Kein Mensch dachte mehr an ihn. Dieses militärische Intermezzo im Leben Birotteaus war wie ein Gewitter vorübergebraust. Während der vier Wochen seiner Genesung stellte er gründliche Betrachtungen über das lächerliche Bündnis von Politik und Parfümgeschäft an. Er blieb zwar Royalist, faßte aber den Entschluß, einfach ein royalistischer Parfümhändler zu sein, ohne sich je wieder politisch zu kompromittieren. Er widmete sich fortan seinem Geschäfte mit Leib und Seele.
    Als Herr und Frau Ragon am 18. Brumaire an der königlichen Sache verzweifelten, entschieden sie sich, das Geschäft aufzugeben und sich als brave Bürgersleute nicht mehr mit Politik zu befassen. Um ihr Geschäftskapital wieder
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