Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc
Autoren: Admin
Vom Netzwerk:
Leben, das sein Körper nicht mehr besaß.
    Er brauchte ihren Trost in diesem Pandämonium. Die Nachtbrut vernichtete Midian nicht nur, sie löschte dar-
    über hinaus jede Spur aus, die von ihr oder ihrem Dasein künden mochte. Er sah sie auf allen Seiten arbeiten, um zu vollenden, was Eigermans Geißel begonnen hatte. Sie sammelten die Überreste ihrer Toten und warfen sie in die Flammen; sie verbrannten ihre Betten, ihre Kleidung, kurz alles, was sie nicht mitnehmen konnten.
    Doch dies waren nicht die einzigen Fluchtvorbereitun-gen. Er erblickte die Brut in Gestalten, die zu sehen er noch niemals zuvor die Ehre gehabt hatte: Sie entfalteten Schwingen, breiteten Gliedmaßen aus. Einer wurde zu 248

    vielen (ein Mann eine Herde), viele wurden zu einem (drei Liebende eine Wolke). Überall ringsumher Rituale des Abschieds.
    Ashberry war immer noch gespannt an Boones Seite.
    »Wohin gehen sie?«
    »Ich bin zu spät gekommen«, sagte Boone. »Sie verlassen Midian.«
    Die Platte über einem Grab flog davon, und eine gei-sterhafte Gestalt schoß wie eine Rakete in den nächtlichen Himmel.
    »Wunderschön«, sagte Ashberry. »Was sind sie? Warum habe ich nie von ihnen erfahren?«
    Boone schüttelte den Kopf. Er konnte die Brut nicht mit überkommenen Ausdrücken beschreiben. Sie gehörten nicht zur Hölle; und nicht zum Himmel. Sie waren etwas, das zu sein die Rasse, der er angehört hatte, nicht wollte oder nicht ertragen konnte; die Nicht -Menschen; der Anti-Stamm;der Sack der Menschheit aufgeschlitzt und mit dem Mond im Inneren wieder zugenäht.
    Und jetzt verlor er sie – bevor er eine Chance gehabt hatte, sie kennenzulernen, und damit sich selbst kennenzulernen. Sie entwickelten Transportmittel in ihren Zellen und flohen in die Nacht.
    »Zu spät«, sagte er erneut, und der Schmerz dieses Abschieds trieb ihm Tränen in die Augen.
    Die Flucht entwickelte ihre Eigendynamik. Auf allen Seiten wurden mittlerweile Türen weit aufgerissen und Grabplatten beiseite gestoßen, während die Geister sich in unzähligen Gestalten emporschwangen. Nicht alle flogen. Manche gingen als Ziegen oder Tiger und rasten durch die Flammen zum Tor. Die me isten gingen allein, aber einige – deren Fruchtbarkeit nicht einmal der Tod oder Midian eindämmen konnte – gingen mit bis zu sechsköpfigen Familien und mehr und trugen die Klein-249

    sten auf den Armen. Er sah hier, das wußte er, das Ende eines Zeitalters, das angefangen hatte, als er zum ersten Mal den Boden Midians betreten hatte. Er war der Verursacher dieser Verwüstungen, obwohl er kein Feuer gelegt und keine Gruft zerstört hatte. Er hatte Menschen nach Midian geführt. Und dadurch hatte er es zerstört. Nicht einmal Lori konnte ihn dazu bringen, sich das zu verzeihen. Der Gedanke hätte ihn vielleicht in die Flammen gelockt, hätte er nicht die Stimme eines Kindes gehört, das seinen Namen rief.
    Sie war gerade noch menschlich genug, Worte zu formen, der Rest war Tier.
    »Lori«, sagte sie.
    »Was ist mit ihr?«
    »Die Maske hat sie.«
    Die Maske? Sie konnte nur Decker meinen.
    »Wo?«
    2
    Näher, und noch näher.
    Sie wußte, sie konnte ihm nicht durch Schnelligkeit entkommen, daher versuchte sie, ihm durch Angst zu entkommen, indem sie an Orte ging, wo er sich, hoffte sie, nicht hinwagen würde. Aber er war so sehr auf ihr Leben aus, daß er sich nicht ablenken ließ. Er folgte ihr auf Gelände, wo der Boden unter ihren Füßen aufbrach und qualmende Steine rings um sie herum regneten.
    Aber es war nicht seine Stimme, die sie rief.
    »Lori! Hierher!«
    Sie wagte einen verzweifelten Blick, und dort stand 250

    Narcisse – Gott segne ihn! Sie wich vom Weg, oder dem, was davon übriggeblieben war, ab und duckte sich zwischen zwei Mausoleen, als deren Buntglasfenster barsten und ein mit Augen durchsetzter Schattenstrom sein Versteck verließ und zu den Sternen strebte. Es war wie ein Stück des nächtlichen Himmels selbst, staunte sie. Es gehörte an den Himmel.
    Der Anblick brachte sie um einen beinahe fatalen Schritt ins Hintertreffen. Die Maske verringerte den Ab-stand zwischen ihnen und ergriff ihre Bluse. Sie warf sich nach vorne, um dem Stich auszuweichen, den sie erwartete, und der Stoff riß, während sie fiel. Diesmal hatte er sie.
    Noch während sie nach der Mauer griff, um sich hochzu-ziehen, spürte sie den Handschuh über seiner Hand im Nacken.
    »Pißkopf!« brüllte jemand.
    Sie sah auf und erblickte Narcisse am anderen Ende des Durchgangs zwischen den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher