Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc
Autoren: Admin
Vom Netzwerk:
Sonne, die am Rand des Horizonts verharrte. Das rote Licht blendete sie. Sie machte die Augen zu.

    244

    In der Dunkelheit hörte sie ein kleines Stück hinter sich schweren Atem. Sie öffnete die Augen und drehte sich mit der Gewißheit um, daß Gefahr drohte. Es war zu spät, ihr zu entgehen. Die Maske war einen Meter von ihr entfernt und kam näher.
    Sie hatte nur Sekunde n, bis das Messer sie traf, doch das reichte aus, die Maske zu sehen, wie sie sie noch nie vorher gesehen hatte. Hier war die Leere des Gesichts, das sie studiert hatte, vervollkommnet; der menschliche Dämon war zum Mythos geworden. Es hatte keinen Zweck, ihn Decker zu nennen. Es war nicht Decker. Es hatte keinen Zweck, ihm überhaupt einen Namen zu geben. Es war so unmöglich, einen Namen dafür zu finden, wie es ihr unmöglich war, ihn zähmen zu wollen.
    Er schlitzte ihren Arm auf. Einmal, dann nochmals.
    Diesmal verhöhnte er sie nicht. Er war nur gekommen, um sie aus dem Weg zu schaffen.
    Die Verletzungen schmerzten. Sie preßte instinktiv die Hände darauf, ihre Bewegung gab ihm Gelegenheit, die Beine unter ihr wegzutreten. Sie hatte keine Zeit, ihren Fall abzus tützen. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen. Sie schluchzte nach Atem, während sie das Gesicht zum Boden kehrte, um es vor dem Messer zu schützen. Der Boden unter ihr schien zu beben. Sicher eine Illusion. Aber es geschah erneut.
    Sie sah zur Maske auf. Auch er hatte das Beben gespürt und sah zum Friedhof. Diese Ablenkung würde ihre einzige Chance sein; sie mußte sie nutzen. Sie rollte aus seinem Schatten und sprang auf. Von Narcisse war keine Spur zu sehen und auch von Rachel nicht; und von den Totenmasken, die ihre Posten aufgegeben hatten und vom Rauch forthasteten, während das Beben intensiver wurde, war auch keine Hilfe zu erwarten. Sie richtete den 245

    Blick auf das Tor, durch das Boone gegangen war, und stolperte den Hügel hinab, wobei der staubige Boden unter ihren Füßen tanzte.
    Midian war der Quell der Unruhe. Stichwort war der Sonnenuntergang und das Erlöschen des Lichts, welches die Brut unter der Erde festgehalten hatte. Ihr Lärm ließ die Erde beben, als sie ihre Zuflucht zerstörten. Was unten war, konnte nicht länger unten bleiben.
    Die Nachtbrut kam empor.
    Dieses Wissen brachte sie nicht von ihrem Kurs ab. Sie hatte schon vor langer Zeit ihren Frieden mit dem gemacht, was hinter dem Tor entfesselt war, und durfte auf Gnade hoffen. Was sie von dem Grauen hinter ihr, das ihr nacheilte, nicht erwarten durfte.
    Jetzt erhellten nur noch die Flammen aus den Gräbern vor ihr den Weg, einen Weg, der vom Schutt der Belage -
    rung übersät war: Benzinkanister, Schaufeln, fallen gelassene Waffen. Lori war beinahe am Tor, als sie Babette sah, die mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht an der Mauer stand.
    »Lauf!« rief sie, weil sie fürchtete, die Maske würde dem Kind ein Leid zufügen.
    Babette gehorchte, ihr Körper schien zu dem Tier zu schmelzen, als sie sich herumwarf und durch das Tor floh.
    Lori folgte ihr wenige Schritte später, aber als sie die Schwelle überschritten hatte, war das Kind bereits in den rauchverhangenen Wegen verschwunden. Hier war das Beben so stark, daß es das Gefüge der Pflastersteine zerstörte und die Mausoleen zum Einsturz brachte, als würde eine unterirdische Kraft – möglicherweise Baphomet, der Midian geschaffen hatte – die Grundmauern schütteln, um den Ort zu zerstören. Diese Gewalt hatte sie nicht erwartet; ihre Chancen, die Katastrophe zu überleben, waren gering.

    246

    Aber es war besser, in den Trümmern begraben zu werden, als sich der Maske zu ergeben. Und sich am Ende selbst zu schmeicheln, daß einem das Schicksal wenigstens zwei Möglichkeiten zu sterben offen gelassen hatte.

    247

    XXIII
    Die Qual
    l
    In seiner Zelle in Shere Neck war Boone von Erinnerungen an Midians Labyrinth gequält worden. Wenn er die Augen zugemacht hatte, war er irrend dorthin versetzt worden, und wenn er sie aufgemacht hatte, hatte er das Labyrinth in den Rillen seiner Fingerkuppen und den Adern seiner Arme widergespiegelt gesehen. Adern, in denen keine warme Flüssigkeit strömte; Erinnerungen an seine Schande, wie Midian auch.
    Lori hatte den Bann der Verzweiflung gebrochen, sie war zu ihm gekommen und hatte nicht gefleht, sondern gefordert, daß er sich selbst vergab.
    Als er jetzt wieder auf den Wegen wandelte, auf denen sein monströses Dasein seinen Anfang genommen hatte, spürte er ihre Liebe zu ihm wie das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher