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Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Titel: Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Autoren: Richard Montanari
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letzten Mal angeschossen worden war, hatte er kein einziges Mal Kopfschmerzen gehabt.
    Nimm zwei Hohlspitzgeschosse, und ruf mich morgen früh wieder an.
    Doch er war müde. Zweiundzwanzig Jahre bei der Polizei in einer Stadt mit einer der höchsten Verbrechensquoten des Landes hatten seine Willenskraft geschwächt. Er hatte seine Pflicht erfüllt. Kevin Byrne, der es schon mit einigen der gewalttätigsten und übelsten Subjekte östlich von Pittsburgh zu tun gehabt hatte, stand nun einer neuen Widersacherin gegenüber, einer Physiotherapeutin namens Olivia Leftwich mit einem unerschöpflichen Arsenal an Foltermethoden.
    Byrne stand im Therapieraum an einer Wand; sein rechtes Bein lag parallel zum Boden auf einer hüfthohen Stange. Trotz seiner ungeheuren Wut hielt er verbissen durch. Bei der geringsten Bewegung zuckten höllische Schmerzen durch seinen Körper.
    »Sie machen große Fortschritte«, sagte sie. »Ich bin beeindruckt.«
    Byrne funkelte sie wütend an. Plötzlich verschwanden ihre Hörner und ihre Fangzähne, und sie lächelte.
    Alles Teil der Illusion, dachte er.
    Alles Teil des Betrugs.
    ***
    Offiziell war die City Hall der Mittelpunkt der Stadt, doch aus historischer Sicht war die Independence Hall das Herz und die Seele Philadelphias; der ganze Stolz der Stadt war noch immer der Rittenhouse Square, der in der Walnut Street zwischen der Achtzehnten und der Neunzehnten lag. Obwohl dieser Platz nicht so bekannt war wie der Times Square in New York City oder der Leicester Square in London, war Philadelphia stolz auf den Rittenhouse Square, der einer der vornehmsten Adressen der Stadt blieb. Im Schatten piekfeiner Hotels, alter Kirchen, turmhoher Bürokomplexe und moderner Boutiquen tummelten sich hier an Sommertagen zur Mittagszeit wahre Menschenmassen.
    Byrne saß auf einer Bank in der Nähe der Bronzeskulptur von Louis Barye, Schlange, die einen Löwen zerreißt, in der Mitte des Platzes. Er war schon in der achten Klasse fast einsachtzig groß gewesen; als er die Highschool besuchte, hatte er seine Größe von einsneunzig erreicht. Während seiner Schulzeit, seines Wehrdienstes und in den Jahren bei der Polizei hatte Byrne seine Größe und sein Gewicht zu seinem Vorteil genutzt und oft Ärger im Keim erstickt, indem er einfach nur aufgestanden war.
    Doch mit seinem Stock, der aschfarbenen Gesichtsfarbe und dem schwerfälligen Gang, den er den starken Schmerzmitteln zu verdanken hatte, kam er sich nun klein und unbedeutend vor und hatte das Gefühl, von der Menschenmenge auf dem Platz erdrückt zu werden.
    Nach jeder Sitzung bei der Physiotherapeutin schwor er sich, nicht mehr hinzugehen. Machte die Therapie die Schmerzen nicht noch schlimmer? Wessen Erfindung war es? Seine nicht. Bis demnächst, du alte Hexe.
    Byrne verlagerte sein Gewicht, bis er auf der Bank eine einigermaßen bequeme Sitzposition gefunden hatte. Dann hob er den Blick und sah eine Jugendliche den Platz überqueren. Sie bahnte sich den Weg zwischen Radfahrern, Geschäftsleuten, Verkäufern und Touristen hindurch. Eine schlanke, sportliche Erscheinung mit anmutigen Bewegungen und weißblondem Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Die Jugendliche mit den strahlenden aquamarinblauen Augen trug ein pfirsichfarbenes Sommerkleid und Sandalen. Sie zog jeden jungen Mann unter einundzwanzig – und viel zu viele Männer über einundzwanzig – in ihren Bann. Die Selbstsicherheit, mit der sie sich bewegte, rührte von einem inneren Gleichgewicht her, und ihre kühle, bezaubernde Schönheit sagte der Welt, dass dieses Mädchen etwas Besonderes war.
    Als es sich näherte, wusste Byrne, warum ihm all das vertraut war. Das junge Mädchen war Colleen, seine Tochter, und im ersten Moment hätte er sie beinahe nicht erkannt.
    Eine Hand über der Stirn, um die Augen vor der Sonne zu schützen, stand sie in der Mitte des Platzes und hielt nach ihm Ausschau. Bald erblickte sie ihn in der Menge. Sie winkte und lächelte verhalten, dieses entwaffnende Lächeln, das sie von klein auf zu ihrem Vorteil eingesetzt hatte, um das Barbie-Fahrrad mit dem pink-weißen Wimpel an der Lenkstange zu bekommen, als sie sechs war, und um in diesem Jahr in das exklusive Ferienlager für gehörlose Kinder zu fahren, dessen Kosten die finanziellen Möglichkeiten ihres Vaters fast überstiegen.
    Mein Gott, ist sie hübsch, dachte Byrne.
    Colleen Siobhan Byrne war mit der hellen irischen Haut ihrer Mutter gesegnet und gestraft zugleich. Gestraft, weil sie an einem
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