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Butterschmalz zum Fruehstueck

Butterschmalz zum Fruehstueck

Titel: Butterschmalz zum Fruehstueck
Autoren: Helga Jursch
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Schade, der Alte war ein außergewöhnlicher Typ, mit dem hätte ich mich noch gerne unterhalten. Er schien mit einem Fuß in einer anderen Welt zu stehen und wirkte überhaupt ein bisschen wie ein Geist. Er war immer plötzlich da und plötzlich weg, als hätte ihn jemand hin- und hergebeamt . Das hat er mit vielen Indern gemeinsam: Sie wirken, als würden sie wie aus dem Nichts auftauchen. Zum Teil liegt das daran, dass sie barfuß laufen und man sie nicht hört, aber es muss noch ein anderes Geheimnis dahinter stecken. Vielleicht doch irgendwelche spirituellen Dimensionen, von denen wir nichts ahnen?
    Kerala ist Indiens Vorzeigestaat. Das Leben ist einfach, aber echtes Elend findet man kaum, und Bettler gibt es auch nicht viel mehr als bei uns. Die Besiedlung ist extrem dicht. Dabei gibt es aber praktisch keine Ballungsgebiete. Aus der Luft sieht das Ganze wie ein dichter Kokoswald aus, aber wenn man näherkommt, sieht man, dass unter jeder Palme eine Hütte steht. Ganz Kerala ist wie ein Riesendorf. Diese vielen, vielen Menschen, die schlicht und ergreifend überall sind, finde ich irritierend.
    Was ich ein bisschen vermisse, ist die Möglichkeit zum Spazierengehen. Aber das geht nicht, denn das ganze Hotel ist von einem Kordon aus Scheiße umgeben. Ganz egal wo man entlangläuft, irgendwann kommt der Punkt, wo es stinkt und man über Häufchen stolpert. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, ist die Straße, und da stinkt es nach defekten Dieselfahrzeugen, außerdem ist es lebensgefährlich. Indien ist in jeder Beziehung gleichzeitig ein Angriff auf und ein Fest für die Sinne. Immer wieder stolpert man auch über Szenen von ergreifender, überwältigender Schönheit, bei denen alles stimmt und die das Bild vermitteln, die Erde wäre ein friedlicher, paradiesischer Ort.
    Gestern war ich wieder am Dorfstrand. Natürlich kamen sofort Einheimische. Die Händler wimmelte ich ab, indem ich gleich laut und deutlich „ no shopping “ sagte, aber andererseits geht es ohne die Einheimischen nicht. Sie zeigen mir, wo die Krabben wohnen und wo man die Felsen entlangklettern kann, ohne in Scheiße zu treten. Sie erklären mir interessante Dinge. Aber dann fing ein Mann davon zu reden an, dass er gesehen hätte, dass ich mir bei „Shiva“ hätte Kleidung machen lassen. Er wäre auch Schneider und bräuchte Business. Ich täuschte Bauchschmerzen vor und ließ mich ins Hotel begleiten. Allein hätte ich den Weg nicht mehr gefunden und mich in den kleinen Gassen verirrt.
    In den Palmenhainen am Strand sieht man Männer, die nur einen Mundu tragen, die traditionelle Männerkleidung, die aus einem kurzen, doppelt gefalteten Tuch um die Hüften besteht, und dazu ihren Turban. Sie sprechen niemanden an und werden auch von niemandem angesprochen. Sie sind Underdogs, die aus der allgemeinen Wahrnehmung verschwinden und alle fiesen Arbeiten machen müssen. Man sieht sie oft auf Baustellen arbeiten. Wir haben einen solchen Mann im Hotel. Seine Aufgabe ist es, Kokosnüsse zu pflücken. Er ist ein kleines, zartes Männchen, das außerordentlich geschickt die Palmen hochklettert und oben mit seiner Riesenmachete auf die Nüsse einhackt. Er wirft nur die kranken Nüsse runter, weil sie beim Fallenlassen kaputt gehen. Ansonsten schneidet er eine Traube mit bis zu zehn Kokosnüssen ab und klettert damit runter. Unglaublich! Die Nüsse dürften fast so viel wiegen wie der ganze Mann. Diese an eine Palme geklammert zu balancieren ist heftig und sieht auch sehr gefährlich aus. Die Typen tun mir echt leid.
    Ich werde von meiner Reisegenossin Sonja gefragt, wann ich nach Trivandrum gehe. Das ist die nächste Großstadt, oder vielmehr ein riesiges Dorf mit städtischem Kern. Dort gibt es ein paar Sehenswürdigkeiten, die ich mir nicht entgehen lassen soll, auch wenn der Ausflug dorthin extrem anstrengend ist. Die Luft steht dort. Bald wird die Vierziggradmarke erreicht. Tausende defekter Dieselmotoren, offene Abwasserkanäle, Moskitoschwärme. In dieser übervölkerten Stadt steht ein riesiger Maharadscha-Palast, der völlig verkommen ist, weil dem Maharadscha das Geld ausgegangen ist. Prall voll mit Schätzen, die wegen Geldmangel schlecht präsentiert werden. Ein höchst interessanter Markt. Ein toller Tempel, den Nichthindus aber nicht betreten dürfen. Ich werde mich schon sehr fit fühlen müssen, um da hinzugehen.
    Am Strand gibt es Hunde. Die wollen mit einem spielen und sind genauso aufdringlich wie die Händler. Aber auch wenn
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