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Bushido

Bushido

Titel: Bushido
Autoren: Michael Fuchs-Gamboeck , Georg Rackow
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nichts zu erzählen, Mama sagte, du wolltest gehen.
    Gesagt haben wir nichts. Eine ganze Weile nicht. Als wir uns wieder etwas gefangen hatten, richtete er sich auf und sah mir tief in die Augen.
    »Vergibst du mir, mein Sohn?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    »Ich vergebe dir. Sonst wäre ich nicht hier. Vergiss alles, was war. Ich bin heute nur deinetwegen hier. Mein Herz ist rein und ich will dir nichts Böses. Ich trage keine Wut mehr in mir. Es ist alles in Ordnung. Schau mal, natürlich werden wir nie eine lachende Familie sein, aber unser Leben ist nun mal so verlaufen und jeder von uns hat es so gelebt, wie er es wollte. Jetzt kannst du aber sagen: Mein Sohn hat mir vergeben.«
    Mein Vater antwortete nicht darauf, sondern hielt die ganze Zeit einfach nur meine Hand.
    Nach einer Stunde kamen Ashraf und Arafat wieder zurück in die Wohnung. Sie waren total durchgefroren, da es draußen geschneit hatte und sie nur dünne Trainingsanzüge trugen. Ich war noch immer richtig durch den Wind und fing alle paar Minuten an zu schluchzen. Arafat übernahm sofort die Rolle des Gesprächsführers, um nicht diese unangenehme Stille einkehren zu lassen. Nach einiger Zeit meinte er zu meinem Vater: »Onkel, wie alt bist du eigentlich?«
    In dem Augenblick fiel mir auf, dass ich das selbst nicht wusste. Ich hatte keine Ahnung, wie alt mein Vater war oder wann er Geburtstag hatte. Ich hatte meine Mutter auch nie danach gefragt.
    »Ich bin 61 geworden«, antwortete mein Vater. »Gestern war mein Geburtstag.«
    So ist das Schicksal. Man kann es nicht ändern. Ich habe auch noch nie versucht, Dinge, die mir oder meinen liebsten Mitmenschen passiert sind, in Frage zu stellen, nach dem Motto: »Warum ausgerechnet meine Mutter?« Wenn man gläubig ist und mit seinem Glauben einverstanden ist, dann hat man automatisch eine gute Beziehung zu Gott. Man würde Gott also niemals eine böse Absicht unterstellen. Viele Leute verlieren aber diesen Glauben, wenn ihnen etwas Schlimmes widerfährt, nur weil sie es nicht begreifen können. Sie geben Gott die Schuld. Die positive Stimmung, die sie hatten, wenn sie an Gott dachten und zu ihm sprachen, ist auf einmal wie weggeblasen. Bei mir ist das nicht so. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch und ich bin mir auch ganz sicher, dass mein Leben, meine Karriere, mein Können, mein Auftreten, eben all das, was mich auszeichnet, genau so von Gott gewollt ist. Ich freue mich auch nicht über diese Fähigkeiten, sondern versuche einen tieferen Sinn darin zu entdecken. Das Gute gibt es nie ohne das Schlechte, deswegen suche ich auch bei den furchtbaren Dingen, die mein Leben betreffen, nach einem größeren Zusammenhang. Ich suche nach dem Sinn. Warum ich das mache? Ganz einfach, um nicht verrückt zu werden und vor allem, um meinen Glauben nicht zu verlieren. Gott wünscht mir nichts Schlechtes. Ich weiß das. Gott will mich auch nicht für meine Sünden aus der Vergangenheit bestrafen. So wahnwitzig und paradox sich das anhören mag, aber ich glaube tief und fest daran, dass mein Leben gar nicht anders hätte verlaufen können. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ergibt doch alles einen Sinn. Angefangen bei der zerrütteten Familie und dem nicht vorhandenen Vater-Sohn-Verhältnis bis zur distanzierten und doch so bedingungslosen Beziehung zu meiner Mutter. Leider passt das alles nur zu gut ins Bild. All das ist mein Leben. Von Gott vorherbestimmt und unwiderruflich. Es tut mir im Herzen weh und ich könnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, aber ich sehe es nicht als Bestrafung an. Im Gegenteil, Gott hat uns allen die Möglichkeit gegeben, glücklich zu werden und andere Menschen glücklich zu machen. Ich muss keine 100000 Euro an die Deutsche Krebshilfe spenden. Ich muss keinen Trinkwasserbrunnen in Afrika graben und ich muss auch nicht nach Tibet fliegen, um den Mönchen in ihrem Kampf gegen China beizustehen, nein. Ich fahre einfach zu meinem Vater, nehme ihn in den Arm und vergebe ihm seine Sünden. Mit keiner anderen Geste und mit keinem Geld der Welt hätte ich einen anderen Menschen so glücklich machen können, wie ich ihn an diesem Tag glücklich gemacht habe.
    »Mein Sohn, ich habe noch einen letzten Wunsch«, fing mein Vater wieder an zu reden. »Ich wünsche mir so sehr, dass auch deine Mutter mir vergibt.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ashraf und Arafat hatten ihre Köpfe nach unten gesenkt. Mir liefen schon wieder die Tränen.
    »Ich werde meine Mutter fragen. Mehr kann
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