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Bushido

Bushido

Titel: Bushido
Autoren: Michael Fuchs-Gamboeck , Georg Rackow
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schon klar, dass er nicht gesund war, aber von seinen vielen Krankheiten hatte ich keine Ahnung. Damals rauchte er noch und konnte einigermaßen gehen und reden, aber jetzt? Der totale Absturz. Ich traute mich aber nicht zu fragen, was er alles hatte. Ich schämte mich. Außerdem wollte ich meinem Vater nicht diese Blöße geben. Er hatte einen bösartigen Krebs im Endstadium, der seinen kleinen, schmächtigen Körper langsam, aber sicher zerstörte. Was sollte man da noch fragen? Ich saß neben ihm auf dem Sofa und mir liefen die Tränen. In Gedanken war ich bei meiner kranken Mutter. Wie ein kleiner Junge heulte ich, als gäbe es kein Morgen. Noch nie in meinem Leben war ich so am Boden zerstört.
    Ich wollte es eigentlich nicht publik machen, weil mir jeder Gedanke daran das Herz bricht. Auf der anderen Seite spüre ich, wie es mich innerlich auffressen würde, behielte ich es noch länger für mich. Also gut: Meine Mutter, die Frau, die mich auf die Welt gebracht hat, die mir ihr ganzes Leben widmete, die immer für mich da war, die wichtigste Person in meinem Leben, ist seit geraumer Zeit ebenfalls an Krebs erkrankt. Brustkrebs.
    Da saß ich also auf dem Sofa meines todkranken Vaters, der nicht mehr lange zu leben hatte, und dachte an meine kranke Mutter, die täglich richtig krass zu kämpfen hatte, um diese verfluchte Krankheit zu besiegen. Mir blieb die Luft weg. Zu wissen, dass die Person, die du am meisten liebst auf der ganzen Welt, an einer unheilbaren Krankheit leidet, ist einfach nicht zu ertragen. An dem Tag, als ich vom Krebs meiner Mutter erfahren hatte, wurde auch ein Teil in mir krank. Mein ganzes Leben verselbstständigte sich auf einmal. Das ist wohl auch der wahre Grund dafür, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann.
    Ich bemerkte, wie mein Vater etwas sagte, aber mir kam es so vor, als hätte jemand den Ton ausgeschaltet. Was ist das nur für eine Welt, fragte ich mich. Ich kam aus Berlin von meiner kranken Mutter zu einem noch kränkeren Menschen, der auch noch mein Vater ist.
    Das hier ist also dein Leben, Bushido! Das ist kein Traum, kein Song, den du gerade schreibst, sondern die harte und erbarmungslose Realität. Deine Mutter hat Krebs, dein Vater hat Krebs. Hallo? Es denken natürlich alle, dass ich das geilste Leben führe, das man sich vorstellen kann. Ich habe Geld, Frauen, eine Villa, Autos, DVDs, Freiheit, Ansehen, Aussehen. Dann erkrankt meine gesamte Familie an Krebs und alles ändert sich. Von heute auf morgen. Einfach so.
    Langsam fand auch der Ton wieder Einzug in mein Gehirn, trotzdem konnte ich meinen Vater nur schwer verstehen. Die Ärzte hatten seine Zunge festgenäht, damit sie ihm nicht den Rachen hinunterrutschten und er an ihr ersticken würde. Sein halber Hals war wegoperiert, er konnte so gut wie nichts mehr hören, aber ich sah ihm an, wie er sich wie ein Krieger tapfer gegen den Tod wehrte. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Ashraf und Arafat, zwei gestandene Männer, konnten diese Situation nicht mehr ertragen, ihnen liefen die Tränen an den Wangen hinunter und sie mussten die Wohnung für einen Moment verlassen. Sie konnten nicht mehr.
    Mein Vater begann mir Geschichten über seine Heimat Tunesien zu erzählen. Aber ich hörte gar nicht richtig hin. Irgendwie hatte mein Gehirn diese Situation noch immer nicht richtig registriert. Sitze ich wirklich hier mit meinem Vater oder ist alles nur ein Traum? Doch ein Satz holte mich ganz schnell zurück in die Realität.
    »Wie geht es eigentlich deiner Mutter?«, fragte er.
    »Sie hat Krebs«, antwortete ich leise.
    »Wie – sie hat Krebs?«
    »Sie ist gerade mitten in der Chemotherapie.«
    Als meine Worte bei ihm ankamen, fing er auf der Stelle wieder an zu weinen und hörte in der folgenden Viertelstunde auch nicht mehr damit auf. Ich tat es ihm gleich. Es machte keinen Sinn, die Tränen zurückzuhalten. Als mein Vater sah, dass ich weinte, legte er seine Hand auf meine und hielt sie fest. Das brachte mich endgültig aus der Fassung. Hatte ich doch in Reich mir nicht deine Hand, einem Lied, das ich erst wenige Monate vorher über meinen Vater geschrieben hatte, genau das nie gewollt.
    Reich mir nicht deine Hand,
    ich würd sie nie wieder nehmen, ich will dich nie wieder sehn.
    Bitte komm jetzt nicht an,
    und sag, ich muss dich verstehen, es ist Schluss mit den Tränen.
    Reich mir nicht deine Hand,
    du hast mich so sehr enttäuscht, du hast diesen Sohn doch gezeugt.
    Bitte komm jetzt nicht an,
    du brauchst mir
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