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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze
Autoren: Matthias P. Gibert
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abwesend zurück, ohne den Blick von der Auslegeware auf dem Boden zu heben.
    »Kann ich sonst etwas für Sie tun?«
    »Nein, ich brauch nichts.« Sein Ausdruck hatte nun fast etwas Unwirsches.
    »Dann gehe ich jetzt nach unten und mache den Tagesabschluss. Wenn etwas sein sollte, müssen Sie nur rufen, ja?«
    Er nickte. Sie nahm die Schublade aus der Kasse, ließ einen Ausdruck folgen und verzog sich. Brandau starrte noch immer regungslos auf den Boden.
     
    31 Jahre. So lange waren er und Hannelore bis zu diesem Samstag im Februar 2010 verheiratet. Während all dieser Jahre war der Umgang zwischen ihnen nie von den ganz großen Gefühlen geprägt gewesen. Nicht, dass seine Frau das nicht gewollt hätte, aber es war ganz einfach mit Horst Brandau nicht zu machen gewesen. Sie waren seit der Konfirmationszeit miteinander gegangen, hatten den ersten Kuss und die ersten schüchternen Annäherungsversuche gemeinsam erlebt und mit keinem anderen Menschen mehr ausprobiert. Den Heiratsantrag hatte er ihr nach einer schnellen Nummer auf dem Rücksitz seines alten Käfers gemacht, und ein Antrag im eigentlichen Sinn war es gar nicht. Eher hatte er ihr erklärt, wie es mit ihnen weitergehen würde.
    In der ersten Zeit wollte er partout ein Kind, am liebsten natürlich einen Sohn, aber daraus wurde nichts. Und mit dem weiteren Verlauf der Ehe hatte er es zu schätzen gelernt, keine Kinder gezeugt zu haben. So vergingen die Jahre, und mit ihnen verflüchtigte sich jegliches Gefühl für den Partner. Hannelore und Horst Brandau lebten nebeneinander her, sprachen wenig miteinander und waren trotzdem auf ihre spezielle Art zufrieden mit ihrem Leben. Sie hatte immer stundenweise im Schuhladen ausgeholfen, seit sie vor vielen Jahren aus ihrem Heimatdorf nach Kassel gezogen waren, weil er einen Job bei einem großen Bauunternehmen bekommen hatte. Er arbeitete viel, machte Überstunden, so oft es ging, und vergnügte sich ein- oder zweimal im Monat in einem Puff mit immer der gleichen Rothaarigen, der zweiten Frau in seinem Leben. Hannelore wusste nichts davon, und wenn, hätte es ihr nichts ausgemacht, denn ihr Mann war ihr seit vielen Jahren gleichgültig. Oft hatte sie daran gedacht, sich scheiden zu lassen, doch vor der Alternative, dem Leben ohne Partner, hatte sie eine Heidenangst. Also war sie geblieben. Und nun lag sie tot im Lager eines Schuhladens, gestorben an einem schwachen Herzen, das vor mehr als zwei Jahren schon einen leichten Infarkt erlitten hatte, der allerdings unbemerkt geblieben war.
     
    Es klopfte leise an der Scheibe. Brandau hob den Kopf und sah in die Gesichter von zwei Männern. Beide trugen schwarze, schlecht sitzende Anzüge, schwarze Mützen und billig wirkende Schuhe in eben dieser Farbe. Er wusste nicht, ob er öffnen sollte, doch diese Entscheidung wurde ihm von der die Treppe hochstürzenden Liane Bötsch abgenommen, die sofort auf die Eingangstür zuhielt.
    »Die Bestattungsfirma«, murmelte sie dabei.
     
    Eine knappe halbe Stunde später standen Brandau und Dr. Horstmann, der die Untersuchung beendet hatte, neben dem Eingang zum Lager, wo die beiden Mitarbeiter des Bestattungsinstituts damit beschäftigt waren, die Leiche in einen Sarg zu heben.
    »Das mit dem Totenschein geht klar?«, wollte einer der beiden von dem Mediziner wissen.
    »Ja, alles klar, Sie können sie mitnehmen«, erwiderte Dr. Horstmann.
    »Hat sie leiden müssen, Herr Doktor?«, fragte der Witwer.
    »Nein, das bestimmt nicht. Sie wussten ja sicher, dass es mit ihrem Herzen nicht zum Besten stand.«
    »Ja, sie hat doch immer diese Medikamente nehmen müssen.«
    »Und nun hat ihr Herz seinen Dienst versagt«, erklärte der Arzt.
    »Einfach so?«
    »Ja, das geht manchmal einfach so; so leid es mir auch für Sie tut. Immerhin war Ihre Gattin seit mehr als 15 Jahren meine Patientin.«
    »Und es geht so schnell?«
    »Das geht schnell, ja. Einerseits ist es gut, nicht leiden zu müssen, andererseits hat man als Hinterbliebener keine Möglichkeit zum Abschiednehmen. Aber ich kann Ihnen nochmal versichern, dass Ihre Frau wirklich nicht gelitten hat.«
    »Wenigstens was«, erklärte Brandau emotionslos.
    »Ich werde mich nun an den Schreibkram machen«, teilte der Mediziner mit. »Da ist leider immer eine ganze Menge zu tun.«
    Damit griff er zu seinem Koffer, kramte einige A-4-Blätter und Umschläge daraus hervor und begann zu schreiben.
     
    »Wo ist Ihre Frau geboren, Herr Brandau?«, war seine einzige Frage in den nächsten
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