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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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fähig war, sein Ziel über Jahre zu verfolgen, ohne es ein Mal aus den Augen zu verlieren.
    »Alle diese Fragen, alle diese Antworten, die ich so mühsam erlernt habe, jetzt, wo ich sie weiß, sind sie nutzlos; sie helfen mir nicht mehr, und es gibt niemanden, an den ich sie weitergeben könnte.«
    »Haben Sie keine Kinder?«
    Sie hatten nicht darüber gesprochen. Bronski hatte nur erwähnt, dass die Familie seiner Frau eine Fabrik für Karosseriebau betrieben hatte, die in den Achtzigern aufgekauft worden war von einem saudi-arabischen Unternehmer. Bronski und seine Frau waren seit über 20 Jahren geschieden. Als er Jordi jetzt ansah, waren Bronskis Augen klar in dem Neonlicht.
    »Mein Sohn ist gestorben«, sagte er. Jordi war zu überrascht, um darauf zu antworten. »Die beiden Töchter, die ich habe, sind allerdings quicklebendig. – Ja ja, doch«, sagte Bronski weich, nachdrücklich und wie zu sich selber, »doch, sie wollen gerne meine Autos übernehmen, sie interessieren sich für die Bugattis vor allem, das sagen sie immer wieder.«
    Bronski wirkte ganz zart, wie er das sagte, beinahe wie ein Junge.
    Und Jordi meinte leise, »dann ist es doch gut, Bronski, ist doch gut«. Sein Brustkorb fühlte sich an wie nach einer Nacht voller filterloser Zigaretten.
    Bronski sah ihn aufmerksam an und lächelte.
    »Ja, aber sie können nicht mal Auto fahren. Sie wissen nicht, wie man mit den Alten hier umgeht, das muss man lernen, ist doch alles anders bei denen … alles anders …«
    Jordi nickte. Bronski faltete die Motorhauben und schloss sie eine nach der anderen.
    Jordi wachte mehrmals auf in dieser Nacht. Mein Sohn ist gestorben, der Satz ging ihm nicht aus dem Kopf. Warum hatte Bronski nie etwas erwähnt. Nun gut, sie waren Fremde füreinander; Jordi würde nicht wagen, noch einmal davon anzufangen. Er fragte sich, was der Satz bedeutete. Bronski hatte nicht gesagt, warum und woran sein Sohn gestorben war, so wie man es sich zur Angewohnheit macht, einen tragischen Unfall zu benennen, beinahe jedes Mal, wenn einer danach fragt, weil es eine Gelegenheit ist, sich selber zu beweisen, dass man ohne weiteres darüber sprechen kann, dass man also über das Ereignis, wie schrecklich es gewesen sein mag, hinweggekommen ist, und man ein ganzer Mensch ist, der weiterlebt.
    Konnte Bronskis Satz bedeuten, dass sein Sohn in Wirklichkeit lebte, aber für ihn, Bronski gestorben war? Und wäre das weniger tragisch, würde es für ihn, Jordi, eine Erleichterung sein, zu denken, sein Freund Bronski – und durfte er das überhaupt denken, »mein Freund Bronski«? – hätte einen Sohn, mit dem es einen Streit gegeben hatte, aber es bestünde immer noch die Möglichkeit einer Versöhnung? Bronski sah nicht aus wie ein Mann, der Zerwürfnisse hinnahm und mit ihnen lebte. Andererseits konnte Jordi sich nicht vorstellen, dass der Sohn so wenig Interesse am Geschäft des Vaters gehabt haben mochte oder so aus der Art geschlagen war, dass es darüber zum Bruch gekommen war. Ich habe keinen Sohn mehr, diese Worte wurden gesprochen, und die Verwünschung ging seltsamerweise stets von dem Älteren aus. Ich habe keinen Vater mehr, war dieser Satz jemals gesprochen und durchgehalten worden?
    Vielleicht hatte Bronskis Sohn sich aber umgebracht, und Bronski wollte nicht darüber reden. Jordi ging beinahe davon aus, aber es gab auch andere Möglichkeiten. Der Sohn konnte bei einem Unfall mit einem der Wagen getötet worden sein, die Bronski so sehr liebte. Und Bronski musste sich umso mehr den alten Autos widmen, er musste sein Leben ganz und gar an die Bugattis hingeben, als könne er das ungelebte Leben seines Sohnes sühnen, indem er sein eigenes aufgab, oder die Schuld tilgen, indem er sich selber beinahe auslöschte. Aber er, Jordi, könnte Bronski aus Gründen der Scham nicht danach fragen.
    Jordi lag noch wach, als der Tag dämmerte.
    Als er Bronski nach dem Frühstück verließ, siezten sie sich immer noch, und das war, nach den wortreichen Nächten, die sie verbracht hatten, vollkommen angemessen.

37
    Zurück aus dem Waadtland, beschloss Jordi, die Bergung des Bugatti zu Ende zu bringen. Er musste die Genehmigung dafür verlängern lassen, und dann stellte er für die nächsten drei Monate einen Plan auf, in dem er und Piero, Ladislas, Berta und Giuseppe in Schichten arbeiteten.
    Anfang Juli legten Ladislas und Berta den rechten vorderen Motorträger frei und fanden darauf die Chassisnummer; sie war ziemlich einwandfrei zu lesen.
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