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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks
Autoren: Thomas Mann
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fort wie sie gekommen war.
    Dann kam Frau Permaneder auf das Leben zu sprechen, {835} nahm es von seiner wichtigsten Seite und stellte Betrachtungen an über Vergangenheit und Zukunft, obgleich über die Zukunft fast gar nichts zu sagen war.
    »Ja, wenn ich tot bin, kann Erika meinetwegen auch davonziehen«, sagte sie, »aber ich halte es sonst nirgends aus, und solange ich am Leben bin, wollen wir hier zusammenhalten, wir paar Leute, die wir übrig bleiben … Einmal in der Woche kommt ihr zu mir zum Essen … Und dann lesen wir in den Familienpapieren –« Sie berührte die Mappe, die vor ihr lag. »Ja, Gerda, ich übernehme sie mit Dank. – Das ist abgemacht … Hörst du Thilda? … Obgleich nun eigentlich ebenso gut du es sein könntest, die uns einlüde, denn im Grunde stehst du dich ja gar nicht mehr schlechter als wir. Ja, so geht es. Man müht sich und nimmt Anläufe und kämpft … und du hast dagesessen und geduldig Alles abgewartet. Aber darum bist du doch ein Kameel, Thilda, das nimm mir nicht übel …«
    »Oh, Tony?« sagte Klothhilde lächelnd.
    »Es thut mir leid, daß ich mich von Christian nicht verabschieden kann«, sagte Gerda, und so kam die Rede auf Christian. Es war wenig Aussicht vorhanden, daß er je aus der Anstalt, in der er saß, wieder hervorgehen würde, obgleich es wohl nicht so schlimm mit ihm stand, daß er nicht hätte in Freiheit umhergehen können. Aber seiner Gattin war der gegenwärtige Zustand allzu angenehm, sie war, wie Frau Permaneder behauptete, mit dem Arzte im Bunde, und voraussichtlich würde Christian seine Tage in der Anstalt beschließen.
    Dann entstand eine Pause. Leise und zögernd wandte das Gespräch sich den jüngst vergangenen Ereignissen zu, und als der Name des kleinen Johann gefallen war, ward es wieder stumm in der Stube, und nur den Regen vorm Hause hörte man stärker rauschen.
    Es lag wie ein schweres Geheimnis über Hannos letzter Krankheit, die in außerordentlich schrecklicher Weise vor sich {836} gegangen sein mußte. Man blickte sich nicht an, während man, gedämpften Tones, in Andeutungen und halben Worten davon sprach. Und dann rief man sich jene letzte Episode ins Gedächtnis zurück … den Besuch dieses kleinen, abgerissenen Grafen, der sich beinahe mit Gewalt den Weg zum Krankenzimmer gebahnt hatte … Hanno hatte gelächelt, als er seine Stimme vernahm, obgleich er sonst niemanden mehr erkannte, und Kai hatte ihm unaufhörlich beide Hände geküßt.
    »Er hat ihm die Hände geküßt?« fragten die Damen Buddenbrook …
    »Ja, viele Male.«
    Hierüber dachten Alle eine Weile nach.
    Plötzlich brach Frau Permaneder in Thränen aus.
    »Ich habe ihn so geliebt«, schluchzte sie … »Ihr wißt nicht, wie sehr ich ihn geliebt habe … mehr als ihr Alle … ja, verzeih, Gerda, du bist die Mutter … Ach, er war ein Engel …«
    »Nun ist er ein Engel«, verbesserte Sesemi.
    »Hanno, kleiner Hanno«, fuhr Frau Permaneder fort, und die Thränen flossen über die flaumige, matte Haut ihrer Wangen … »Tom, Vater, Großvater und die Anderen alle! Wo sind sie hin? Man sieht sie nicht mehr. Ach, es ist so hart und traurig!«
    »Es giebt ein Wiedersehen«, sagte Friederike Buddenbrook, wobei sie die Hände fest im Schoße zusammenlegte, die Augen niederschlug und mit ihrer Nase in die Luft stach.
    »Ja, so sagt man … Ach, es giebt Stunden, Friederike, wo es kein Trost ist, Gott strafe mich, wo man irre wird an der Gerechtigkeit, an der Güte … an Allem. Das Leben, wißt ihr, zerbricht so Manches in uns, es läßt so manchen Glauben zu schanden werden … Ein Wiedersehen … Wenn es so wäre …«
    Da aber kam Sesemi Weichbrodt am Tische in die Höhe, so hoch sie nur irgend konnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals, pochte auf die Platte, und die Haube zitterte auf ihrem Kopfe.
    {837} »
Es ist so!
« sagte sie mit ihrer ganzen Kraft und blickte Alle herausfordernd an.
    Sie stand da, eine Siegerin in dem guten Streite, den sie während der Zeit ihres Lebens gegen die Anfechtungen vonseiten ihrer Lehrerinnenvernunft geführt hatte, bucklig, winzig und bebend vor Überzeugung, eine kleine, strafende, begeisterte Prophetin.

Anhang
    {838} {839} Editorische Nachbemerkung
    Dem im Rahmen der
Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe
(GKFA) der Werke von Thomas Mann präsentierten Text von
Buddenbrooks
liegt die Erstausgabe von 1901 zugrunde. Denn nur dieser früheste Druck beruht auf dem im Zweiten Weltkrieg
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