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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks
Autoren: Thomas Mann
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Mitteltisch gebildet ward. Die grünen Bänder ihrer Haube fielen auf ihre Kinderschultern hinab, von denen sie die eine ganz hoch emporziehen mußte, um den Oberarm auf der Tischplatte gestikulieren lassen zu können; so winzig war sie mit ihren fünfundsiebenzig Jahren geworden.
    »Es ist nicht recht, laß dir sagen, daß es nicht wohl gethan ist, Gerda!« wiederholte sie mit eifernder und zitternder Stimme. »Ich stehe mit einem Fuße im Grabe, mir bleibt nur eine kurze Frist, und du willst mich … Du willst uns verlassen, willst dich auf immer von uns trennen … fortziehen … Wenn es eine Reise, einen Besuch in Amsterdam gälte … allein auf immer!« Und sie schüttelte ihren alten Vogelkopf mit den braunen, gescheuten, betrübten Augen. »Es ist wahr, daß du Vieles verloren hast …«
    »Nein, sie hat Alles verloren«, sagte Frau Permaneder. »Wir {833} dürfen nicht egoistisch sein, Therese. Gerda will gehen und sie geht, da ist nichts zu thun. Sie ist mit Thomas gekommen, vor einundzwanzig Jahren, und wir haben sie Alle geliebt, obgleich wir ihr wohl immer widerwärtig waren … ja, das waren wir, Gerda, keine Widerrede! Aber Thomas ist nicht mehr, und … niemand ist mehr. Was sind wir ihr? Nichts. Uns thut es weh, aber reise mit Gott, Gerda, und Dank, daß du nicht schon früher reistest, damals, als Thomas starb …«
    Es war nach dem Abendbrot, im Herbst; der kleine Johann (Justus, Johann, Kaspar) lag ungefähr seit sechs Monaten, mit den Segnungen Pastor Pringsheims wohl versehen, dort draußen am Rande des Gehölzes unter dem Sandsteinkreuz und dem Familienwappen. Vorm Hause rauschte der Regen in den halb entblätterten Bäumen der Allee. Manchmal kamen Windstöße und trieben ihn gegen die Fensterscheiben. Alle acht Damen waren schwarz gekleidet.
    Es war eine kleine Familienzusammenkunft, um Abschied zu nehmen, Abschied von Gerda Buddenbrook, die im Begriff stand, die Stadt zu verlassen und nach Amsterdam zurückzukehren, um wie ehemals mit ihrem alten Vater Duos zu spielen. Keine Verpflichtung hielt sie mehr zurück. Frau Permaneder hatte diesem Entschlusse nichts mehr entgegenzuhalten. Sie ergab sich darein, aber in ihrem Inneren war sie tief unglücklich darüber. Wäre die Witwe des Senators in der Stadt verblieben, hätte sie sich Platz und Rang in der Gesellschaft gewahrt, und ihr Vermögen am Platze gelassen, so wäre dem Namen der Familie doch ein wenig Prestige erhalten geblieben … Mochte dem nun wie immer sein, Frau Antonie war gewillt, den Kopf hoch zu tragen, solange sie über der Erde weilte und Menschen auf sie blickten. Ihr Großvater war vierspännig über Land gefahren …
    Trotz des bewegten Lebens, das hinter ihr lag, und trotz der Schwäche ihres Magens, sah man ihr ihre fünfzig Jahre nicht an. {834} Ihr Teint war ein wenig flaumig und matt geworden, und auf ihrer Oberlippe – der hübschen Oberlippe Tony Buddenbrooks – wuchsen die Härchen reichlicher; aber in dem glatten Scheitel unter dem Trauerhäubchen war nicht ein einziger weißer Faden zu sehen.
    Ihre Cousine, die arme Klothhilde, nahm Gerdas Abreise, wie man alle Dinge im Diesseits zu nehmen hat, gleichmütig und sanft. Sie hatte vorhin beim Abendessen still und gewaltig zugelangt und saß nun da, aschgrau und mager wie stets, mit gedehnten und freundlichen Worten.
    Erika Weinschenk, nun einunddreißigjährig, war ebenfalls nicht die Frau, sich über den Abschied von ihrer Tante zu erregen. Sie hatte Schwereres erlebt und sich frühzeitig ein resigniertes Wesen zu eigen gemacht. In ihren müde blickenden, wasserblauen Augen – den Augen Herrn Grünlichs – las man Ergebenheit in ein fehlgeschlagenes Leben, und aus ihrer gelassenen und manchmal ein wenig klagenden Stimme klang dasselbe.
    Was die drei Damen Buddenbrook, die Töchter Onkel Gottholds, betraf, so waren ihre Mienen pikiert und voll Kritik, wie gewöhnlich. Friederike und Henriette, die Älteren, waren mit den Jahren immer hagerer und spitziger geworden, während Pfiffi, die dreiundfünfzigjährige Jüngste, allzu klein und beleibt erschien …
    Auch die alte Konsulin Kröger, die Witwe Onkel Justus', war geladen worden; aber sie war unpäßlich und hatte vielleicht auch kein präsentables Kleid anzuziehen; das war nicht zu entscheiden.
    Es war von Gerdas Reise die Rede, von dem Zuge, mit dem sie zu fahren gedachte, und dem Verkaufe der Villa samt den Möbeln, den der Makler Gosch übernommen hatte. Denn Gerda nahm nichts mit und ging
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