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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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dass ihm vor dem Mittagessen noch Zeit genug für einen Plausch mit Signorina Elettra blieb, der Sekretärin seines Vorgesetzten. Falls überhaupt jemand in der Lage war, einen diskreten Blick auf Cataldos Geschäfte zu werfen, dann sie. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie zu bitten, wenn sie schon mal dabei war, auch über Cataldos Frau so viel wie möglich herauszufinden. Zu seiner Beschämung verspürte er den Wunsch, ein Foto von ihr aus der Zeit zu sehen, bevor sie... bevor sie geheiratet hatte.
    Als er Signorina Elettras Büro betrat, wurde ihm bewusst, dass es Dienstag war. Auf dem Tisch vor ihrem Fenster prangte eine riesige Vase mit rosa französischen Tulpen. Der Computer, den eine großzügige und dankbare Questura ihr vor einigen Monaten hatte installieren dürfen - zu sehen war davon lediglich ein magersüchtiger Monitor und eine schwarze Tastatur -, ließ hinreichend Platz auf ihrem Schreibtisch für einen ebenso großen Strauß frischer weißer Rosen. Das bunte Einwickelpapier lag ordentlich gefaltet in dem ausschließlich Papier vorbehaltenen Behälter, und wehe dem Mitarbeiter, der das vergaß und irgendwelches Papier unbedacht in den Restmülleimer stopfte. Papier; Pappe; Metall; Plastik. Brunetti hatte sie einmal am Telefon mit dem Chef von Vesta erlebt, der Privatfirma, die von der Stadt - er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was zu dieser Entscheidung geführt haben mochte - den Zuschlag für die Müllentsorgung erhalten hatte, und erinnerte sich noch gut an die ausgesuchte Höflichkeit, mit der sie ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, welch vielfältige Möglichkeiten der Polizei oder gar der Guardia di Finanza zur Verfügung stünden, durch gewisse Ermittlungen den reibungslosen Betrieb seines Unternehmens zu behindern, und wie kostspielig und unangenehm die unerwarteten Entdeckungen werden könnten, die bei einer amtlichen Durchleuchtung der Finanzen nicht selten ans Licht kämen.
    Nach diesem Telefonat - freilich nicht als Folge davon - erfolgte die Müllabfuhr nach einem neuen Terminplan; immer dienstag- und freitagvormittags, nachdem sie Papier und Pappe bei den Einwohnern des Viertels um san Giovanni e Paolo eingesammelt hatte, legte die barca ecologica vor der Questura an. Am zweiten dieser Dienstage hatte Vice-Questore Giuseppe Patta, als er das Boot dort liegen sah, ihnen befohlen, zu verschwinden, und sich über die brutto, figura aufgeregt, die seine Polizisten in der Öffentlichkeit machten, wenn sie Säcke mit Abfallpapier aus der Questura zu einer Müllschute trugen.
    Signorina Elettra gelang es im Handumdrehen, den Vice-Questore von der außerordentlich positiven Offentlichkeitswirkung einer ecoiniziativa zu überzeugen, die selbstverständlich nur Dottor Pattas rückhaltlosem Engagement für die ökologische Gesundheit seiner Wahlheimatstadt zu verdanken sei. In der folgenden Woche schickte La Nuova nicht nur einen Reporter, sondern auch einen Fotografen, und die Titelseite am nächsten Tag zierte ein ausführliches Interview mit Patta und darüber ein großes Foto. Es zeigte ihn zwar nicht direkt dabei, wie er einen Abfallsack hinaustrug, sondern am Schreibtisch, doch ruhte seine Hand nachdrücklich auf einem Stapel Akten, was vielleicht andeuten sollte, er könne die Fälle, die darin dokumentiert waren, durch reine Willenskraft lösen und werde anschließend gewissenhaft dafür sorgen, dass die Akten ordnungsgemäß im Behälter für Papierabfälle entsorgt würden.
    Als Brunetti eintrat, kam Signorina Elettra gerade aus dem Büro ihres Vorgesetzten.
    »Trifft sich gut«, sagte sie, als sie Brunetti in der Tür stehen sah. »Der Vice-Questore möchte Sie sehen.«
    »In welcher Sache?«, fragte er und schlug sich jeden Gedanken an Cataldo und seine Frau fürs Erste aus dem Kopf.
    »Es ist jemand bei ihm. Ein Carabiniere. Aus der Lombardei.« Die Erlauchteste Republik hatte zwar schon vor über zweihundert Jahren aufgehört zu existieren, doch ihre Einwohner konnten ihr Misstrauen gegenüber den geschäftigen Emporkömmlingen aus der Lombardei noch heute in dieses Wort legen.
    »Gehen Sie nur rein«, sagte sie und zog sich hinter ihren Schreibtisch zurück, um ihm den Weg zu Pattas Tür frei zu machen.
    Er dankte ihr, klopfte an, hörte Patta »Herein!« rufen und trat ein.
    Patta saß an seinem Schreibtisch, auf einer Seite derselbe Aktenstapel, der als Requisit für das Zeitungsfoto hatte herhalten müssen. Für Patta konnte jeglicher Stoß Papier nur dekorativen
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