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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Autoren: Donna Leon
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vorschlagen, das Gespräch unten in der Kabine fortzusetzen, aber Vianello ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Glaubst du im Ernst, du findest einen Staatsanwalt - dessen Karriere, wie ich wohl nicht eigens zu betonen brauche, von ebendiesem Minister abhängt -, der bereit ist, auf Grund dieser windigen Zeugenaussage ein Strafverfahren einzuleiten?« Und als wäre das bisher Gesagte noch nicht niederschmetternd genug, brachte er sein Gesicht ganz nahe an das von Brunetti und ergänzte: »Bei der Beweislage?«
    Brunetti steckte die Hand in die Tasche und tastete nach Ring und Manschettenknopf. Er hatte gesehen, wie nervös Fornari war, hatte die Wut im Gesicht des kleinenjungen gesehen, der seinen primitiven Rachegelüsten freien Lauf ließ, weil sie sich mit denen seiner Mutter deckten. Das waren Indizien, allerdings keine, die vor Gericht Bestand haben würden. In den Hallen des Gesetzes, wo »gleiches Recht für alle« galt, waren Brunettis Eindrücke völlig wertlos und ohne Bedeutung. Er wusste das auch ohne Vianellos Vorhaltungen. Das Gericht wollte Beweise, nicht die Ansichten eines Mannes, der ein vor Angst fast verrücktes Kind in die Enge getrieben und so lange hatte zappeln lassen, bis es ihm seine Geschichte erzählt hatte. Brunetti konnte sich vorstellen, wie ein Verteidiger, und nun gar noch einer, der den Sohn eines Ministers vertrat, seine Deutung in der Luft zerpflücken würde.
    »Ich will einfach Gewissheit haben«, sagte Brunetti. »Worüber?«
    »Ob der Junge mir die Wahrheit gesagt hat.«
    Vianello riss endgültig die Geduld. »Begreifst du denn nicht, dass es darauf überhaupt nicht ankommt?« Er packte Brunetti am Arm und zog ihn die drei Stufen zur Kabine hinunter. Als sie einander gegenübersaßen, fuhr der Inspektor fort. »Ich zweifle ja nicht daran, dass der Junge die Wahrheit sagt, aber das nützt dir gar nichts, Guido. Du willst das Kind eines straffälligen Zigeuners als Kronzeugen gegen den Sohn des Innenministers ins Rennen schicken. Das kann doch nicht gut gehen!«
    »Das hast du mir jetzt schon dreimal gesagt, Lorenzo«, entgegnete Brunetti erschöpft.
    »Und ich sag's noch dreimal, wenn du nicht endlich auf mich hörst«, blaffte Vianello zurück. Nach einer langen Pause fuhr er in versöhnlicherem Ton fort: »Vielleicht hast du ja einen Hang zum Harakiri, aber ich bestimmt nicht.« »Verlangt ja auch niemand von dir.«
    »Aber ich fahre mit dir zu diesem Roma-Lager, oder etwa nicht? Ich werde dabei sein, wenn du jemanden befragst, den zu befragen Patta dir ausdrücklich verboten hat.« »So wortwörtlich hat er das nicht gesagt«, widersprach Brunetti pedantisch.
    »Das brauchte er auch nicht, Herrgott noch mal! Er hat dir klipp und klar gesagt, dass du die Finger von der Geschichte lassen sollst. Und was machst du? Rennst ohne einen Gerichtsbeschluss und gegen die ausdrückliche Weisung deines Vorgesetzten - unseres Vorgesetzten - los, um genau die Leute zu befragen, von denen du dich laut Patta fernhalten sollst.«
    »Der Junge und die andere Schwester waren in der Nacht dabei. Sie haben gesehen, was passiert ist.«
    »Und du glaubst, die Eltern werden sie mit dir reden lassen? Oder mit einem Richter?«
    »Die Mutter dürstet genauso nach Rache wie der Junge. Vielleicht sogar noch mehr.«
    »Jetzt machen wir also auf Bürgerwehr und verteidigen die Zigeuner gegen den Rest der Welt?« Vianello verbarg seinen Frust, indem er sich von Brunetti abwandte, den Kopf hob und für einen Moment die Augen schloss, so als erbitte er seine verlorene Geduld zurück.
    Das Boot drosselte seine Fahrt, und Brunetti sah, dass sie am Piazzale Roma angelangt waren. Er erhob sich und stieß eine der beiden Schwingtüren auf. »Du kannst ja mit Foa zurückfahren«, sagte er, schon auf dem Weg an Deck.
    Oben angekommen, hörte er Vianello hinter sich die Stufen hinaufkeuchen. »Mein Gott, Guido, nun hör schon auf, die Primadonna zu spielen!«, grummelte der Inspektor unwirsch. Heute hatten sie wieder einen anderen Fahrer, aber wie seine Vorgänger kannte auch dieser die Strecke zum Lager und erzählte ihnen unterwegs, wie oft: er schon dort gewesen war. Er machte munter weiter Konversation, und Brunetti und Vianello, die des Streitens müde waren, ließen ihn reden.
    Brunetti, der die Geschichten alle schon kannte, hörte allerdings kaum hin und genoss, sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, lieber die üppig sprießende Frühlingslandschaft. Wie die meisten Städter neigte auch er dazu, das
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