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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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getroffen. Zum Glück ist die Schädeldecke an der Stelle ziemlich dick, so daß es nur zu einem Haarriß kam, aber es ist trotzdem eine folgenschwere Verletzung. Oder könnte es sein.
    Als ich zwanzig Minuten später hier eintraf, hatten zwei Carabinieri vor der Station Posten bezogen. Eine Maßnahme, die sie damit begründeten, daß Pedrolli sich zuvor seiner Festnahme widersetzt und dabei einen ihrer Männer tätlich angegriffen habe.« Damasco schloß die Augen und preßte die Lippen zusammen, um anzudeuten, für wie glaubhaft er diese Erklärung hielt. »Kurz darauf meldete mir der Kollege aus der Notaufnahme, daß bei dem angeblichen Opfer dieses ›Angriffs‹ einzig der Nasenknorpel etwas abbekommen hat. Weshalb ich mir nicht vorstellen kann, daß der Mann ernsthaft attackiert wurde.«
    Neugierig geworden, hakte Brunetti nach: »Ist Dottor Pedrolli denn der Typ, der so reagieren würde? Gleich zuschlagen, meine ich?«
    Damasco wollte schon etwas erwidern, doch dann stockte er, offenbar um sich seine Antwort zurechtzulegen. »Nein. Außerdem geht ein nackter Mann nicht auf einen Carabiniere mit Maschinenpistole los, oder?« Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Es sei denn, er muß seine Familie verteidigen.« Als der Arzt sah, daß die beiden Polizisten gespannt aufhorchten, fuhr er fort: »Der Posten wollte mir den Zutritt zu meinem Patienten verweigern. Vielleicht dachten sie ja, ich würde ihm zur Flucht verhelfen, ihn womöglich durch ein Fenster entkommen lassen - keine Ahnung. Oder ich könnte mit ihm zusammen eine Geschichte zu seiner Entlastung aushecken. Aber ich habe ihnen klargemacht, daß ich Arzt bin, und als ich den Namen ihres vorgesetzten Offiziers wissen wollte, da haben sie mich reingelassen. Allerdings bestand der Wortführer darauf, daß sein Kamerad anwesend sein müsse, während ich Gustavo untersuchte.« Nicht ohne Stolz schloß Damasco: »Doch dann habe ich ihn rausgeworfen. So etwas dürfen die sich nicht rausnehmen, nicht hier in Venedig.«
    Mit dieser Feststellung sprach Damasco dem Commissario aus der Seele. Nein, hier duldete man so etwas nicht, schon gar nicht ohne Genehmigung der hiesigen Polizei. Letzteres ergänzte Brunetti aber nur still für sich. Laut fuhr er fort: »So wie Sie mit ihm geredet haben, Dottore, machte es den Eindruck, als sei Ihr Patient nicht in der Lage zu sprechen. Können Sie mir dazu Näheres sagen?«
    Damasco wandte den Blick ab, als suche er die Antwort auf diese Frage an der Wand. Endlich sagte er: »Gustavo will offenbar reden, aber seine Stimme gehorcht ihm nicht.«
    »Der Schlag?« mutmaßte Brunetti.
    Damasco zuckte die Achseln. »Das Gehirn ist ein hochkompliziertes Ding und der Verstand erst recht. Mit ersterem beschäftige ich mich seit dreißig Jahren und weiß inzwischen annähernd, wie es funktioniert, letzterer aber ist mir immer noch ein Buch mit sieben Siegeln.«
    »Auch in diesem Fall, Dottore?« Brunetti stellte die Frage, weil er spürte, daß der Arzt sie erwartete.
    Wieder das Schulterzucken, und dann sagte Damasco: »Soweit ich es beurteilen kann, ist der Schlag nicht die Ursache für seine Sprachlähmung. Möglich, daß er unter Schock steht, oder vielleicht hat er auch beschlossen, erst zu sprechen, wenn er Klarheit gewonnen hat über das, was vorgefallen ist.« Damasco hob die Arme und fuhr sich mit den Handflächen übers Gesicht.
    Dann ließ er die Hände wieder sinken und gestand: »Ich weiß es nicht. Ich arbeite, wie gesagt, mit dem organischen Gehirn, mit Neuronen und Synapsen und allem, was man testen und vermessen kann. Das übrige - den Verstand oder, wenn Sie so wollen, den nichtorganischen Bereich - überlasse ich anderen Experten.«
    »Aber Sie ziehen es mit in Betracht, Dottore«, versetzte Brunetti mit ebenso gedämpfter Stimme wie Damasco.
    »Das schon, ja. Sehen Sie, ich kenne Gustavo seit langem und bin daher ein wenig vertraut mit seinen Gedankengängen und Reaktionen. Also ziehe ich es in Betracht, ja.«
    »Würden Sie sich dazu näher äußern wollen, Dottore?« fragte Brunetti.
    »Wozu?«
    »Nun, dazu, wie Ihr Patient denkt und reagiert?«
    Jetzt wandte Damasco dem Commissario seine volle Aufmerksamkeit zu, und man sah ihm an, daß er die Frage ernst nahm. »Nein, tut mir leid. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als daß Gustavo kompromißlos ehrlich ist, eine Eigenschaft, die ihm, zumindest beruflich, schon manches Mal geschadet hat.« Der Neurologe hielt inne, als lausche er den eigenen Worten nach. »Er
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