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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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keinen Klatsch über einen Kunden verbreiten, nicht wahr?«
    Die Feststellung war kaum einer Antwort wert, aber Franchi bequemte sich doch zu einem Seitenblick, der seine Geringschätzung für so viel Beschränktheit verriet, und sagte: »Selbstverständlich nicht.«
    »Aber Sie würden sehr wohl zum Telefon greifen, wenn einer Ihrer Kunden etwas in Ihren Augen Unmoralisches täte, habe ich recht?« Pedrolli sprach jetzt ganz langsam, so als reimte er sich seine Erkenntnis Wort für Wort zusammen. »Dazu wären Sie imstande, genau wie Sie Ginos Mutter warnen würden. Sie würden nicht direkt etwas verraten, aber nachdem Sie Ihre Sorge kundgetan und die Gründe dafür dargelegt hätten, wüßten die Betroffenen, was los ist, nicht wahr?« Er hielt inne und betrachtete den Mann vor sich, als sähe er ihn in all den Jahren zum ersten Mal.
    Franchi verlagerte seinen Griff auf die Spritze und umschloß sie mit den Fingern, als wäre es der Schaft eines Messers. Aller Geduld beraubt, richtete er sie vage auf den Arzt. Was hatte das alles zu bedeuten, und warum war Dottor Pedrolli so besorgt um diese Frau? Er war Kinderarzt, sie konnte also nicht zu seinen Patienten gehören. »Natürlich würde ich das tun!« Der Zorn preßte die Worte aus ihm heraus. »Glauben Sie denn nicht, daß ich moralisch dazu verpflichtet bin? Ja, sind wir nicht alle, angesichts von Sünde, Frevel und Betrug, aufgerufen, sie zu verhindern, sofern es in unserer Macht steht?«
    Pedrolli hätte nicht fassungsloser sein können, wenn der Apotheker tatsächlich mit der Spritze auf ihn losgegangen wäre. Er streckte Franchi abwehrend seine Handfläche entgegen und fragte mit gepreßter Stimme: »Nur verhindern? Aber was, wenn es dazu zu spät ist? Glauben Sie, daß man die Sünder dann auch bestrafen darf?«
    »Aber natürlich«, entgegnete Franchi so entschieden, als handele es sich um die einfachste Sache von der Welt. »Frevler sollen ihre Strafe bekommen. Vergehen müssen geahndet werden.«
    »So lange, wie keiner deswegen im Krankenhaus landet oder ums Leben kommt?«
    »Genau«, bestätigte Franchi auf seine pedantische Art. »Wenn es nur um Gefühle geht, kann man ruhig durchgreifen.«
    Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Ein Mann, der gewissenhaft und kompetent seinen Pflichten nachgeht.
    Wer weiß, was Pedrolli in dem Augenblick gesehen hat? Einen kleinen Jungen im mit Entchen bedruckten Pyjama, der sich an die eigene Nase faßt? Und was mag er gehört haben? Ein feines Stimmchen, das papà sagt? Entscheidend ist, was er daraufhin tat. Er machte einen Schritt nach vorn und stieß den Apotheker mit einer zornigen Armbewegung zur Seite. Franchi, der noch immer die Spritze umklammert hielt und sich nicht damit verletzen wollte, stolperte beim Versuch auszuweichen, mit dem linken Fuß über den rechten und brach in die Knie. Er seufzte erleichtert auf, weil es ihm gelungen war, die Spritze von seinem Körper fernzuhalten. Als er zu Pedrolli aufblickte, sah er den großen Glaskolben in der Hand des Arztes auf sich zukommen, sah die Flüssigkeit in hohem Bogen herausspritzen und ganz kurz noch die eigene ausgestreckte Hand, bevor alles in Dunkelheit und Schmerz versank.

26
    D iesmal wird sich unser Gespräch leider etwas anders gestalten als bisher, Dottore.«
    »Das ist mir klar.«
    »Bei unserer ersten Begegnung habe ich Sie als Opfer eines tätlichen Angriffs im Krankenhaus aufgesucht, und das nächste Mal befragte ich Sie nach jemandem, den ich im Verdacht hatte, eine Straftat begangen zu haben. Diesmal aber sind Sie es, dem ein Verbrechen angelastet wird, und ich muß Ihnen sagen, daß unser Gespräch auf Band und Video aufgezeichnet wird. Mein Kollege, Ispettore Vianello, nimmt als Zeuge teil, und zum Schluß der Vernehmung wird man Ihnen ein Protokoll zur Unterschrift vorlegen. Haben Sie das soweit verstanden, Dottore? ... Ich muß Sie bitten, etwas zu sagen, Dottore. Fürs Tonband.«
    »Oh, verzeihen Sie. Ich war wohl in Gedanken.«
    »Möchten Sie, daß ich Ihnen das Prozedere noch einmal wiederhole?«
    »Nein, nicht nötig. Ich habe schon verstanden.«
    »Also gut. Ach ja, bevor wir anfangen: Möchten Sie etwas zu trinken, Dottore? Ein Glas Wasser? Einen Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    »Falls Sie rauchen möchten, da steht ein Aschenbecher.«
    »Danke, Commissario, ich bin Nichtraucher. Aber natürlich, wenn einer von Ihnen ...«
    »Danke, Dottore. Können wir dann beginnen?«
    »Ja, sicher.«
    »Am Morgen des Sechzehnten, waren Sie da in
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