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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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ihn in der Hand.«
    Da an der Gültigkeit von Brunettis Urteil nicht zu zweifeln war, versuchte der Schneider seinen Zorn zu bezähmen. Er stand auf und ging zur Tür. Dort aber wandte er sich noch einmal um und sagte: »Was das Juristische angeht, kann ich nicht mit Ihnen streiten, Dottore. Aber ich weiß, daß die Polizei nicht tatenlos zusehen sollte, wenn ein Mensch erschossen wird.« Im Hinausgehen schloß er leise die Tür hinter sich.
    Brunetti gehörte eigentlich nicht zu denen, die an Zeichen und Wunder glauben: Ihm war die Realität phantastisch genug. Aber er konnte die Wahrheit erkennen, wenn jemand sie ihm vorhielt.
    Signorina Elettra hatte nicht mehr nach dem Fall gefragt und sich auch nicht erboten, ihre Recherchen wiederaufzunehmen; die Leichtigkeit, mit der man ihren Computer geknackt hatte, hatte ihr wohl einen Dämpfer versetzt. Vianello war mit seiner Familie für zwei Wochen in die Berge gefahren. Als Buffetti gegangen war, wählte Brunetti mit Signor Rossis telefonino das von Vianello an.
    »Lorenzo«, sagte Brunetti, als der Inspektor sich meldete, »ich glaube, wenn Sie zurück sind, müssen wir uns noch mal um diese unerledigte Sache kümmern.«
    »Das wird gewissen Leuten aber gar nicht gefallen«, antwortete Vianello lakonisch.
    »Vermutlich nicht, nein.«
    »Ich habe alle Informationen aufbewahrt«, erklärte Vianello. »Gut.«
    »Ich bin sehr froh, daß Sie angerufen haben«, sagte Vianello noch und legte auf.
    Zwei Tage darauf klingelte spätabends, kurz vor elf, das Telefon. Paola meldete sich mit der unpersönlich kühlen Stimme, die sie immer einsetzte, wenn jemand nach zehn Uhr anrief. Doch im nächsten Moment änderte sich ihr Ton, und sie redete die Person am anderen Ende mit dem vertraulichen »tu« an. Brunetti horchte auf und überlegte, wer von ihren Freundinnen dran sein mochte. Aber dann wandte Paola sich ihm zu und sagte: »Es ist für dich. Mein Vater.«
    »Guten Abend, Guido«, begrüßte ihn der Conte, als Brunetti an den Apparat kam.
    »Guten Abend«, antwortete Brunetti möglichst unbefangen.
    Der Conte aber überraschte ihn mit der Frage: »Kriegt ihr CNN ?«
    »Was?«
    »Den Fernsehsender, CNN ?«
    »Ja. Die Kinder schauen es, um ihr Englisch zu verbessern.«
    »Ich würde dir empfehlen, um Mitternacht dort die Nachrichten einzuschalten.«
    Brunetti sah auf die Uhr. Erst wenige Minuten nach elf. »Vorher nicht?« fragte er.
    »Das, worauf es ankommt, wird sicher nicht früher gesendet. Ich hatte eben einen Anruf von einem Freund.«
    »Aber warum CNN ?« Brunetti glaubte, daß auch die RAI um Mitternacht eine Nachrichtensendung ausstrahlte, aber er war nicht sicher.
    »Wenn du's siehst, wirst du verstehen, warum. Es wird morgen in der Zeitung stehen, aber ich fände es besser, du siehst, wie sie es inszenieren.«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte Brunetti.
    »Du wirst schon dahinterkommen«, versprach der Conte und legte auf.
    Brunetti wiederholte Paola, was ihr Vater gesagt hatte, aber auch sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer und schalteten den Fernseher an. Paola nahm die Fernbedienung und zappte von einem Kanal zum anderen. Ein Verkaufsteam, das Matratzen anpries, Frauen, die Tarotkarten legten, ein alter Spielfilm und noch einer, zwei Menschen unbestimmbaren Geschlechts, die eine bizarre Sexnummer vorturnten, noch eine Wahrsagerin, bis endlich das leicht außerirdische Gesicht des CNN-Nachrichtensprechers erschien.
    »Keiner von denen hat zwei gleiche Augen«, sagte Paola, während sie auf dem Sofa Platz nahm. »Und ich glaube, sie tragen alle Perücken.«
    »Du meinst, du guckst das öfter?« fragte Brunetti erstaunt.
    »Manchmal, mit den Kindern«, rechtfertigte sie sich.
    »Dein Vater sagte Mitternacht.« Damit nahm Brunetti ihr die Fernbedienung aus der Hand und stellte den Ton ab.
    »Dann kann ich uns ja noch was zu trinken holen.« Paola stand auf und verschwand Richtung Küche. Brunetti war gespannt, ob sie etwas Gehaltvolles mitbringen würde oder eine Tasse Kräutertee.
    Sein Blick richtete sich wieder auf den Bildschirm, wo anscheinend gerade eine Börsensendung lief: Ein Mann und eine Frau, äußerlich beide nicht von dieser Welt, plauderten gefällig miteinander und reizten sich zwischendurch gegenseitig zu schallendem Gelächter, das ohne Ton nicht sehr überzeugend wirkte. Währenddessen wurden am unteren Bildrand Aktienkurse eingeblendet, die jeden denkenden Menschen zum Weinen bringen
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