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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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Stammeszeichen erklären?«
    »Ja, natürlich. Einen Moment, ich rufe es gleich auf. Ich habe es mir nämlich von einem meiner Assistenten einscannen lassen.« Während er wartete, sah Brunetti im Display das Restguthaben seiner Telefonkarte zusammenschnurren, bis nur noch etwas mehr als ein Euro übrig war.
    »Ah, da haben wir's!« meldete sich Signora Winter zurück. »Ja, da hat mich meine Erinnerung nicht getrogen. Ihr Foto zeigt den Knauf vom Zauberstab eines Wahrsagers oder Medizinmannes.« Nach einer kleinen Pause fragte sie: »Sie sagten doch, der Kopf sei circa fünf Zentimeter groß, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Dann würde ich schätzen, daß der Stab etwa einen Meter lang war. Aber wieso der Kopf abgebrochen wurde, das kann ich mir nicht erklären.«
    Falls das als Frage gemeint war, so hatte Brunetti keine Antwort darauf. »Ich ebensowenig«, bekannte er.
    »Ist wohl auch nicht so wichtig«, sagte sie, und Brunetti sah, daß er noch siebzig Cent auf der Telefonkarte hatte.
    »Das Zeichen auf der Stirn ist ein Symbol des Lebens«, fuhr Professor Winter fort. »Sicher war der Stab noch mit allerlei Tierfiguren und wundertätigen Zeichen, den Attributen des Medizinmanns, beschnitzt.« Sie hielt inne, als erwarte sie, daß Brunetti sich dazu äußern würde. Als er schwieg, fuhr sie fort: »Das magische Stirnzeichen ist identisch mit der Tätowierung. Falls Sie das wissen wollten.«
    »Ja, Professoressa, und es ist alles sehr interessant, aber könnten Sie mir sagen, woher dieses Zeichen stammt?«
    »Ach, hatte ich das noch nicht erwähnt? Von den Chokwe. Eindeutig. Sie gehören zu den besten Holzschnitzern des ...«, begann sie, doch Brunetti fiel ihr ins Wort.
    »Und wo leben die? Geographisch gesehen, Professoressa?«
    Falls seine plötzliche Schroffheit sie überraschte, war ihr das nicht anzumerken. »Entlang des Sambesi-Flusses«, antwortete sie.
    Brunetti holte tief Luft und flüsterte das Stoßgebet, mit dem seine Mutter immer um Geduld gefleht hatte, wenn sie in Bedrängnis war. »Und was liegt dort - wenn ich's mal so formulieren darf - politisch gesehen?«
    »Oh, verzeihen Sie, da hatte ich Ihre Frage falsch verstanden. Angola. Sowie Teilgebiete des westlichen Kongo. Vielleicht kommt auch noch Sambia in Frage, obwohl eine solche Schnitzerei und die Tätowierung eher untypisch sind für die dortigen Stämme. Nein, ich würde auf Angola tippen.«
    »Verstehe.« Brunettis Guthaben betrug noch zehn Cent. »Vielen Dank, Professoressa, daß Sie mir Ihr Wissen so großzügig zur Verfügung gestellt haben.«
    »Dafür ist es doch da, Commissario. Werden meine Auskünfte Ihnen weiterhelfen?«
    Die Karte war leer. Als die zwei Nullen in der Anzeige aufblinkten, wußte Brunetti, daß ihm nur noch wenige Sekunden blieben. »Das wäre meine Hoffnung, Professor Winter«, begann er, doch dann machte es klick, und die Leitung war tot. In das dumpfe statische Rauschen hinein sagte Brunetti: »Aber ich bezweifle es.«
    Er zog die abgelaufene Telefonkarte aus dem Schlitz und lenkte seine Schritte zur Questura zurück. War Angola das Land, wo Kinderbanden im Drogenrausch auf Mordzug gingen? Brunetti blieb stehen. Sein Blick schweifte über das Bacino zur Kuppel von San Giorgio und weiter über die Kirchtürme am Ufer der Giudecca. Dort unten streiften durchgeknallte Kinder blindwütig mordend durch die Lande, und hier glitt pünktlich die Fähre zum Lido vorbei.
    Brunetti stützte sich mit der Hand gegen eine Mauer und wartete, bis dieser seltsame Schockzustand vorüberging. Er hatte gelesen, daß man zur Vorbeugung gegen eine drohende Ohnmacht den Kopf zwischen die Knie nehmen solle, aber das konnte er hier auf offener Straße schwerlich tun. Immerhin schloß er die Augen und senkte das Kinn auf die Brust.
    »Ist Ihnen nicht gut, Signore?« fragte eine Männerstimme im venezianischen Dialekt.
    Brunetti schlug die Augen auf und sah vor sich einen kleinen, untersetzten Mann im dunklen Jackett und mit einer grünkarierten Schottenmütze auf dem mutmaßlich kahlen Schädel.
    »Doch, doch. Danke, es geht mir gut. Waren wohl nur zu viele Weihnachtsfeiern.« Brunetti versuchte zu lächeln. »Oder vielleicht der Witterungsumschwung.«
    Der Mann lachte erleichtert. »Das wird's sein«, sagte er, »zu viele Weihnachtsfeiern.« Und aufgeräumt setzte er hinzu: »Höchste Zeit, daß wir uns alle wieder an die Arbeit machen, nicht wahr?«
    »Ja, da haben Sie wohl recht.«
    Bloß, wie konnte er das, überlegte Brunetti im
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