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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Autoren: Donna Leon
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sie nach einer gedankenvollen Pause hinzu, »den Dozentinnen auch nicht.«
    »Ja, was macht er denn so Schlimmes?«
    »Also die Studentinnen belästigte er in den Tutorien - solange er noch welche hielt - mit obszönen Anspielungen, oder er zitierte im Seminar handfeste Sexszenen, aber immer nur aus den Klassikern, damit niemand sich beschweren konnte, und wenn sie's doch taten, reagierte er so schockiert und verächtlich, als ob er als einziger am Institut die klassische Tradition hochhielte.« Paola machte eine Pause, doch da Brunetti sich offenbar nicht dazu äußern wollte, fuhr sie fort: »Und von den jüngeren Kolleginnen habe ich gehört, daß diejenigen, die ihm nicht ›entgegenkommen‹, auch keine Aufstiegschancen haben. Denn als stellvertretender Institutsvorstand muß er Beförderungen genehmigen oder kann sie, von Fall zu Fall, auch ablehnen.«
    »Du sagtest, er sei achtundsechzig«, bemerkte Brunetti, nicht ohne einen gewissen Ekel in der Stimme.
    »Was, wenn man's recht bedenkt, nur beweist, wie lange er damit durchgekommen ist.«
    »Aber nun nicht mehr?« »Nicht mehr in dem Maße - zumindest, seit man ihm die Lehrbefugnis entzogen hat.«
    »Was macht er jetzt?«
    »Hab ich dir doch gesagt, er forscht.«
    »Und was heißt das?«
    »Er bezieht sein Gehalt, und wenn er sich entschließt aufzuhören, wird er eine großzügige Abfindung kassieren und danach eine noch großzügigere Pension.«
    »Und ist das allgemein bekannt?«
    »Innerhalb der Fakultät bestimmt, und wahrscheinlich auch unter den Studenten.«
    »Und keiner unternimmt was dagegen?« fragte Brunetti, obwohl er sich beinahe denken konnte, was sie darauf antworten würde.
    »Der Fall liegt nicht viel anders als der, von dem Marco dir heute erzählt hat. Alle wissen, daß solche Dinge vorkommen, aber jeder scheut vor einer offiziellen Beschwerde zurück - aus Angst vor den Konsequenzen. Für den, der als erster damit an die Öffentlichkeit ginge, wäre es beruflicher Selbstmord. Man würde ihn in ein Kaff wie Caltanissetta versetzen, wo er Kurse geben müßte über...« Er sah, wie sie nach einem hinreichend abschreckenden Thema suchte. »...über Elemente des Bardengesangs in der frühkatalanischen Hofdichtung.«
    »Ist schon eigenartig«, sagte er. »Obwohl man bei Ämtern und Behörden mittlerweile fast mit solchen Verhältnissen rechnet, glauben oder hoffen wir immer noch - zumindest gilt das für mich -, daß es an einer Universität nicht so zugeht.«
    Paola nahm wieder ihre Heilige-Agatha-Pose ein, und bald danach gingen sie zu Bett.
    Am Morgen, beim Kaffee, fragte Paola lächelnd: »Na, was ist?«
    Brunetti wußte genau, was gemeint war: die Antwort auf die Bitte ihrer Studentin, die er Paola ani Vorabend schuldig geblieben war. »Es hängt ganz davon ab«, begann er zögernd, »um was für ein Verbrechen es ging und wie das damalige Urteil lautete.«
    »Über das Verbrechen hat sie nichts gesagt, nur, daß er schuldig gesprochen und nach San Servolo geschickt wurde.«
    Brunetti rührte gedankenverloren in seinem Kaffee und fragte: »Diese Frau ist also Österreicherin, ja? Hat das Mädchen dir auch gesagt, wer der Mann war?«
    Paola versuchte sich zu erinnern, ob bei der kurzen Unterhaltung mit Claudia Namen gefallen waren. »Nein, aber sie erwähnte, daß die Frau eine alte Freundin ihres Großvaters war, also nehme ich an, es geht um ihn.«
    »Und deine Studentin? Wie heißt sie?« fragte Brunetti.
    »Warum mußt du das wissen?«
    »Ich könnte Signorina Elettra bitten nachzusehen, ob wir was in den Akten haben.«
    »Aber die alte Frau ist gar nicht mit ihr verwandt«, protestierte Paola, die das Mädchen keinesfalls kriminalistischen Ermittlungen aussetzen wollte, ganz gleich wie diskret oder wohlmeinend sie ausfallen mochten. Wer wußte schon, was es für Folgen haben würde, wenn man Claudias Namen in den Polizeicomputer eingab?
    »Aber ihr Großvater war doch wohl mit ihr verwandt.« Brunettis Entgegnung klang pedantischer als beabsichtigt, aber es ärgerte ihn einfach, daß seine Frau sich auf diese heikle Geschichte eingelassen hatte.
    »Guido«, begann Paola mit einer Stimme, die ihr selbst etwas zu schroff erschien, »sie wollte lediglich wissen, ob es theoretisch möglich wäre, diesen Mann nachträglich zu begnadigen. Sie hat nicht um eine großangelegte Untersuchung gebeten, sondern nur um eine Information.« Als Professorin alter Schule glaubte Paola nach wie vor, daß sie an ihren Studenten so etwas wie Elternstelle
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