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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Autoren: Donna Leon
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Neapel bedeuten. Womöglich sogar Sizilien, um Gottes willen!«
    Brunetti, der weit mehr wußte, als in dem Brief stand, sah ihn sich gar nicht erst an.
    »Was für eine Pfarrei soll das sein?« haderte Benevento weiter. »Was für eine Gemeinde werde ich vorfinden? Die können doch nicht annehmen, daß ich da so einfach mitmache. Ich rufe beim Patriarchen an. Ich werde mich darüber beschweren und dafür sorgen, daß da etwas geändert wird. Die können mich nicht nach Belieben in irgendeine Pfarrei versetzen, nach allem, was ich für die Kirche getan habe.«
    »Es ist keine Pfarrei«, sagte Brunetti ruhig.
    »Wie?« fragte Benevento.
    »Es ist keine Pfarrei«, wiederholte Brunetti.
    »Was meinen Sie damit, keine Pfarrei?«
    »Genau was es heißt. Sie werden keiner Pfarrei zugeteilt.«
    »Aber das ist doch widersinnig«, stellte Benevento mit echter Empörung fest. »Natürlich muß ich einer Pfarrei zugeteilt werden. Ich bin Pfarrpriester.
    Es ist meine Aufgabe, Menschen zu helfen.«
    Brunettis Gesicht war die ganze Zeit völlig unbewegt geblieben. Sein Schweigen provozierte Benevento zu der Frage: »Wer sind Sie eigentlich? Was wissen Sie hierüber?«
    »Mein Name spielt keine Rolle. Ich bin jemand, der in Ihrer Pfarrei wohnt«, sagte Brunetti. »Und meine Tochter hat bei Ihnen Religionsunterricht.«
    »Wer?«
    »Eine von der Mittelschule«, sagte Brunetti, der keinen Anlaß sah, den Namen seiner Tochter preiszugeben.
    »Was hat das hiermit zu tun?« verlangte Benevento zu wissen. Seine Stimme verriet die zunehmende Wut.
    »Es hat sehr viel damit zu tun«, antwortete Brunetti und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Brief.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte Benevento, dann wiederholte er seine Frage: »Wer sind Sie? Wozu sind Sie hergekommen?«
    »Ich bin hier, um Ihnen diesen Brief zu übergeben«, sagte Brunetti ruhig, »und um Ihnen mitzuteilen, wohin Sie versetzt werden.«
    »Wieso sollte der Patriarch dazu jemanden wie Sie schicken?« fragte Benevento, triefend vor Sarkasmus.
    »Weil man ihm gedroht hat«, erklärte Brunetti unumwunden.
    »Gedroht?« fragte Benevento, jetzt mit ruhiger Stimme, aber die Nervosität, die in seinem Blick lag, konnte er nur sehr schwer verbergen. Von dem gütigen Pfarrer, der vor wenigen Minuten dieses Zimmer betreten hatte, war nicht mehr viel übrig. »Womit könnte man dem Patriarchen denn drohen?«
    »Mit drei jungen Mädchen. Alida Bontempi, Serafina Reato und Luana Serra«, zählte Brunetti ihm die Namen der Mädchen auf, deren Eltern sich beim Bischof von Trient beschwert hatten.
    Benevento riß den Kopf nach hinten, als hätte er von Brunetti drei Ohrfeigen bekommen. »Ich weiß nicht...«, wollte er beginnen, doch da sah er Brunettis Gesicht und schwieg fürs erste.
    Nach einer Weile lächelte er, ganz Mann von Welt, Brunetti an. »Sie werden doch den Lügen nicht glauben, die solche hysterischen kleinen Mädchen verbreiten? Über einen Priester!«
    Brunetti gab ihm darauf erst gar keine Antwort.
    Benevento wurde zorniger. »Ist es wirklich Ihr Ernst, sich hier hinzustellen und mir zu sagen, daß Sie die scheußlichen Geschichten glauben, die sich diese Mädchen über mich ausgedacht haben? Glauben Sie, daß ein Mann, der sein Leben dem Dienst an Gott geweiht hat, fähig wäre zu tun, was die gesagt haben?« Als Brunetti noch immer nicht antwortete, klatschte Benevento mit dem Brief wütend an sein Bein und wandte sich von Brunetti ab. Er ging zur Tür, öffnete sie, knallte sie aber wieder zu und drehte sich zu Brunetti um. »Und was bilden die sich ein, wohin sie mich schicken können?«
    »Nach Asinara«, sagte Brunetti.
    »Was?« schrie Benevento.
    »Nach Asinara«, wiederholte Brunetti, überzeugt, daß jeder, selbst ein Priester, den Namen dieses Hochsicherheitsgefängnisses mitten im Tyrrhenischen Meer kannte.
    »Aber das ist ein Gefängnis. Man kann mich nicht ins Gefängnis stecken. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.« Er machte zwei Schritte auf Brunetti zu, als hoffte er ihm irgendein Zugeständnis entringen zu können, und sei es nur kraft seines eigenen Zorns. Brunettis Blick gebot ihm stehenzubleiben. »Was denken die, was ich da tun soll? Ich bin kein Verbrecher.«
    Brunetti hielt seinem Blick stand, sagte aber nichts.
    Benevento schrie in das Schweigen hinein, das von seinem Gegenüber ausstrahlte: »Ich bin kein Verbrecher. Die können mich nicht dorthin schicken. Die können mich nicht bestrafen; ich habe noch nicht einmal
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