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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Autoren: Donna Leon
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geht, bringt doch ihren Vater nicht um!«
    »Woher wissen Sie, daß sie täglich in die Messe geht?« fragte Brunetti, der über seine eigene Fähigkeit staunte, ganz ruhig zu bleiben und gewissermaßen über diesem Gespräch zu stehen, als wäre er an den Ort hinaufgetragen worden, an dem die Auflösungen aller dieser Rätsel versteckt gehalten wurden.
    »Weil sowohl ihr Arzt als auch ihr geistlicher Ratgeber bei mir angerufen haben.«
    »Was haben die Ihnen erzählt?«
    »Der Arzt hat mir gesagt, daß es anscheinend ein Nervenzusammenbruch war, hervorgerufen durch verzögertes Leid um den Tod ihres Vaters.«
    »Und ihr ›geistlicher Ratgeber‹ wie Sie ihn nennen?«
    »Wie würden Sie ihn denn bezeichnen, Brunetti? Als etwas anderes? Oder ist er Teil dieses finsteren Szenarios, das Sie sich da anscheinend zusammenreimen?«
    »Was hat er gesagt?« wiederholte Brunetti.
    »Daß er der Analyse des Arztes zustimmt. Und dann hat er noch gesagt, es würde ihn nicht wundern, wenn herauskäme, daß ebendiese Einbildung über die Nonne schließlich zu dem tätlichen Angriff im Krankenhaus geführt habe.«
    »Und ich nehme an, als Sie ihn gefragt haben, wie er darauf komme, hat er geantwortet, er sei nicht ermächtigt, Ihnen zu sagen, wie er an diese Information gekommen sei«, sagte Brunetti, der sich immer weiter von diesem Gespräch und den beiden Männern entfernte, die es führten.
    »Woher wissen Sie das?« fragte Patta.
    »Aber Vice-Questore«, sagte Brunetti, wobei er aufstand und Patta mit dem Finger drohte, »Sie werden doch nicht von mir erwarten, das Siegel des Beichtgeheimnisses zu brechen.« Er wartete gar nicht erst ab, was Patta darauf zu sagen hatte, sondern schwebte zur Tür hinüber und verließ das Zimmer.
    Signorina Elettra trat sehr eilig zurück, als die Tür aufging, und Brunetti drohte auch ihr mit dem Finger. Dann aber lächelte er und fragte: »Könnten Sie mir in meinen Mantel helfen, Signorina?«
    »Selbstverständlich, Dottore«, sagte sie, nahm den Mantel von dem Stuhl, über dem er lag, und hielt ihn für ihn auf.
    Nachdem der Mantel um seine Schultern lag, bedankte er sich und wollte zur Treppe. Da stand plötzlich Vianello in der Tür, herbeigezaubert wie ein Engel. »Bonsuan wartet mit dem Boot, Commissario«, sagte er. Später erinnerte sich Brunetti, daß er neben dem Sergente die Treppe hinunterging und dieser seinen gesunden Arm faßte. Und er erinnerte sich, daß er Vianello gefragt hatte, ob auch er sich schon einmal darüber Gedanken gemacht habe, wie leicht es wäre, wenn sie einfach die Treppen hinauf- und hinunterfliegen könnten, um in ihre Dienstzimmer zu kommen, doch dann verloren sich seine Erinnerungen an diesen Tag und gesellten sich zu all den verlorenen Stunden im Leben der Suor Immacolata.

23
    D ie Infektion in Brunettis Arm wurde später den Fasern aus seinem Harris-Tweed-Jackett zugeschrieben, die in die Wunde gelangt und aufgrund schlampiger medizinischer Versorgung dort verblieben waren. Natürlich stammte diese Erklärung nicht vom Ospedale Civile; der dortige Chirurg beharrte darauf, daß die Infektion durch einen verbreiteten Staphylokokkenstamm hervorgerufen worden und bei einer derart schweren Verwundung zu erwarten gewesen sei. Aber sein Freund Giovanni Grimani berichtete ihm später, daß in der chirurgischen Ambulanz Köpfe gerollt seien, und ein Pfleger sei in die Küche versetzt worden. Grimani sagte nicht - zumindest nicht offen -, es sei die Schuld des Chirurgen gewesen, der viel zu hastig gearbeitet habe, aber Brunetti und Paola entnahmen das seinem Ton. Das alles erfuhr Brunetti aber erst viel später, lange nachdem die Infektion so schlimm und sein Verhalten so wunderlich geworden war, daß man ihn ins Krankenhaus brachte.
    Dank der Großzügigkeit seines Schwiegervaters gegenüber dieser Institution kam der phantasierende Brunetti ins Ospedale Giustinian, wo er in ein Privatzimmer gelegt und vom gesamten Personal, nachdem es erfahren hatte, mit wem er verwandt war, mit größter Zuvorkommenheit und Höflichkeit behandelt wurde. Während der ersten Tage, in denen er von einer Bewußtlosigkeit in die nächste fiel und die Ärzte nach dem richtigen Antibiotikum gegen seine Infektion suchten, sagte man ihm nichts über deren Ursache, und nachdem dieses Medikament endlich gefunden und die Infektion erfolgreich bekämpft worden war, zeigte er kein Interesse an der Frage, wer eigentlich schuld gewesen war. »Was würde es denn schon ändern?« fragte er den
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