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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Autoren: Donna Leon
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enttäuschten Grimani, der doch so stolz darauf war, daß er Freundschaft über die Solidarität mit seinen Arztkollegen gestellt hatte.
    Während seines Krankenhausaufenthalts, zumindest in den lichten Perioden, hatte Brunetti sich wiederholt nach Maria Testa erkundigt, aber niemand sagte ihm mehr, als daß sie im Krankenhaus liege und stetig zu Kräften komme. Brunetti fand es absurd, daß man ihn im Krankenhaus hielt, und am selben Tag, an dem ihm die Infusionskanüle aus dem Arm genommen wurde, verlangte er, entlassen zu werden. Paola, die ihm beim Anziehen half, erklärte, draußen sei es so warm, daß er keinen Pullover brauche, aber sie hatte ein Jackett mitgebracht, das er sich um die Schultern legen konnte.
    Als ein geschwächter Brunetti und eine erleichterte Paola auf den Korridor hinaustraten, wartete dort Vianello. »Guten Morgen, Signora«, sagte er zu Paola.
    »Guten Morgen, Vianello. Wie nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte sie mit gespielter Überraschung. Brunetti lächelte über ihren vergeblichen Versuch, sich ganz zwanglos zu geben, denn er war sicher, daß sie das Ganze mit Vianello verabredet hatte, und ebenso sicher, daß Bonsuan am Nebeneingang im Polizeiboot mit laufendem Motor wartete.
    »Sehr gut sehen Sie aus, Commissario«, war Vianellos Begrüßung.
    Beim Ankleiden hatte Brunetti sich darüber gewundert, wie lose seine Hose saß. Anscheinend hatte das Fieber einiges von dem Übergewicht weggezehrt, das er sich über die Wintermonate zugelegt hatte, und seine Appetitlosigkeit hatte ein übriges getan. »Danke, Vianello«, sagte er und beließ es dabei. Als Paola sich in Bewegung setzte, wandte Brunetti sich an den Sergente und fragte: »Wie geht es ihr?« Er brauchte nicht zu erklären, wen er meinte.
    »Fort. Beide sind fort.«
    »Wie bitte?«
    »Signorina Lerini wurde in eine Privatklinik gebracht.«
    »Wo?«
    »In Rom. So hat man es uns jedenfalls gesagt.«
    »Haben Sie das überprüft?« fragte Brunetti.
    »Signorina Elettra hat es bestätigt.« Und ehe Brunetti noch fragen konnte, erklärte er: »Die Klinik steht unter der Leitung des Ordens vom Heiligen Sakrament.«
    Brunetti wußte nicht, welchen Namen er nun gebrauchen sollte. »Und Maria Testa?« fragte er schließlich und schlug sich mit diesem Namen auf die Seite der Entscheidung, die sie getroffen hatte.
    »Sie ist verschwunden.«
    »Was heißt das, verschwunden?«
    »Guido«, sagte Paola, indem sie zu ihm zurückkam, »hat das nicht Zeit?« Damit machte sie wieder kehrt und ging weiter den Korridor hinunter, zum Nebenausgang und dem wartenden Polizeiboot.
    Brunetti folgte ihr, und Vianello fiel neben ihm in Gleichschritt.
    »Berichten Sie«, sagte Brunetti.
    »Die ersten Tage, nachdem Sie hierhergekommen waren, haben wir die Wachen noch vor ihrem Zimmer gelassen...«
    Brunetti unterbrach ihn. »Hat jemand versucht, zu ihr hineinzukommen?«
    »Dieser Pater. Aber dem habe ich gesagt, wir hätten den Befehl, keinen Besuch zu ihr zu lassen. Da ist er zu Patta gegangen.«
    »Und?«
    »Patta hat sich einen Tag lang geziert, dann hat er gesagt, wir sollen sie fragen, ob sie den Pater empfangen will.«
    »Und was hat sie geantwortet?«
    »Ich habe sie gar nicht gefragt. Aber zu Patta habe ich gesagt, sie wolle ihn nicht empfangen.«
    »Und weiter?« fragte Brunetti, aber da waren sie schon an der Krankenhaustür, wo Paola stand und sie ihm aufhielt, und als er nach draußen trat, sagte sie: »Willkommen im Frühling, Guido.«
    Und es stimmte. Während seiner zehn Tage im Krankenhaus war wie durch Zauber der Frühling gekommen und hatte die Stadt erobert. Die Luft war mild und duftete nach Wachstum, die Balzgesänge kleiner Vögel erfüllten die Luft, und auf der anderen Seite des Kanals sah man Rosenknospen durch ein Eisengitter in der Backsteinmauer sprießen. Wie Brunetti sich gedacht hatte, stand Bonsuan am Ruder des Polizeiboots, das an den Stufen angelegt hatte, die vom Krankenhaus zum Kanal hinunterführten. Bonsuan begrüßte sie mit einem Kopfnicken und, wie es Brunetti vorkam, fast sogar mit einem Lächeln.
    Mit einem gebrummelten »Buon giorno« half der Bootsführer zuerst Paola an Bord, dann Brunetti, der, geblendet von dem plötzlichen hellen Licht, fast gestolpert wäre. Vianello löste die Leine und sprang ebenfalls an Bord, und Bonsuan steuerte das Boot in Richtung Canale della Giudecca.
    »Und was dann?« fragte Brunetti.
    »Dann hat eine von den regulären Krankenschwestern, die sie pflegten, ihr
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