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Brunetti 04 - Vendetta

Brunetti 04 - Vendetta

Titel: Brunetti 04 - Vendetta
Autoren: Donna Leon
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Aufpralls aus der Verankerung gerissen worden; die beiden Männer, die in der Kabine arbeiteten, lösten ihn vollends heraus und entfernten den Bezug aus Kunststoff und Textilfaser, fanden aber nicht, was sie suchten. Auch entdeckten sie nichts in irgendeiner Weise Verdächtiges hinter der Kunststoffverkleidung der Kabine.
    Erst im Laderaum kam etwas Ungewöhnliches zum Vorschein: acht Plastiktüten, wie man sie in Supermärkten bekommt, jede mit Frauenkleidung zum Wechseln, dazu in der einen noch ein kleines Gebetbuch in einer Sprache, die von einem der Männer als Rumänisch identifiziert wurde. Aus den Kleidungsstücken waren alle Etiketten herausgetrennt, und, wie sich zeigte, auch aus dem, was die acht bei dem Unfall getöteten Frauen am Leib getragen hatten.
    An Papieren fand sich in der Fahrerkabine nichts weiter, als was man dort erwartete: der Paß des Fahrers, sein Führerschein, Versicherungsunterlagen, Zollerklärungen, Frachtbriefe und eine Rechnung mit dem Namen des Holzhändlers, an den die Ladung geliefert werden sollte. Die Papiere des Fahrers waren rumänisch, die Zollerklärungen in Ordnung; die Ladung war für eine Sägemühle in Sacile bestimmt, einer kleinen Stadt etwa hundert Kilometer weiter südlich.
    Keine weiteren Erkenntnisse waren aus dem Wrack des Lastwagens zu gewinnen, das unter großen Schwierigkeiten und mit enormen Verkehrsbehinderungen von drei Abschleppwagen mit Winden hochgezogen und oben auf einen Tieflader verfrachtet wurde, der es zu seinem rumänischen Besitzer zurückbrachte. Das Holz wurde schließlich doch noch an die Sägemühle in Sacile geliefert, die sich weigerte, die Zusatzkosten zu übernehmen.
    Über den merkwürdigen Tod der acht Frauen wurde in der österreichischen und italienischen Presse unter Schlagzeilen wie Der Todeslaster und Il Camion della Morte berichtet. Die Österreicher waren irgendwie an drei Fotos von den im Schnee liegenden Leichen gekommen, die sie zusammen mit dem Artikel veröffentlichten. Es wurde wild spekuliert: Wirtschaftsflüchtlinge? Illegale Arbeiterinnen? Der Zusammenbruch des Kommunismus machte die früher sonst unweigerliche Schlußfolgerung gegenstandslos: Spione. Das Rätsel wurde letzten Endes nie gelöst, und die Ermittlungen versandeten irgendwo zwischen dem Unvermögen der rumänischen Behörden, Anfragen zu beantworten oder Papiere zurückzuschicken, und dem erlahmenden Interesse der Italiener. Die Leichen der Frauen und des Fahrers wurden per Flugzeug nach Bukarest zurückgeschickt, wo man sie unter der schweren Erde und der noch schwereren Bürokratie ihres Heimatlandes begrub.
    Das Ereignis verschwand schnell wieder aus den Zeitungen, verdrängt durch die Schändung eines jüdischen Friedhofs in Mailand und die Ermordung eines weiteren Richters. Vor ihrem Verschwinden wurde die Geschichte allerdings noch von Professoressa Paola Falier gelesen, Dozentin für englische Literatur an der Universität von Ca' Pesaro in Venedig und, für diese Geschichte nicht ganz nebensächlich, Frau von Guido Brunetti, Commissario der Polizei in ebendieser Stadt.

3
    Carlo Trevisan, Avvocato Carlo Trevisan, um ihm den Titel zu geben, mit dem er sich am liebsten anreden ließ, war ein Mann mit ganz normaler Vergangenheit, was nicht im mindesten dagegen sprach, daß er ein Mann mit grenzenloser Zukunft war. Geboren in Trient unweit der österreichischen Grenze, hatte er in Padua Jura studiert und, von allen Professoren einhellig gelobt, ein glänzendes Examen abgelegt. Danach hatte er eine Stelle in einer Anwaltskanzlei in Venedig angenommen, wo er bald zum Experten für internationales Recht wurde, einer der wenigen Juristen in der Stadt, die sich für dieses Gebiet interessierten. Nach nur fünf Jahren verließ er diese Kanzlei und gründete seine eigene, mit Schwerpunkt auf internationalem und Gesellschaftsrecht.
    Italien ist ein Land, in dem man viele Gesetze an einem Tag erläßt, nur um sie am nächsten wieder aufzuheben. Und es ist auch nicht weiter verwunderlich, daß in einem Land, in dem selbst der simpelste Zeitungsartikel oft nicht zu verstehen ist, manchmal beträchtliche Unsicherheit hinsichtlich der genauen Bedeutung eines Gesetzes besteht. Die sich daraus ergebenden, vielfachen Auslegungsmöglichkeiten schaffen ein äußerst günstiges Klima für Anwälte, die für sich in Anspruch nehmen, die Gesetze zu verstehen. Zu diesen also gehörte Avvocato Carlo Trevisan. Weil er ebenso fleißig wie ehrgeizig war, ging es Avvocato Trevisan
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