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Brudermord

Titel: Brudermord
Autoren: Veronika Rusch
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sie. »Ja.« Ihre Stimme klang rau, als ob sie sie lange schon nicht mehr benutzt hatte. »Ja. Es könnte auch ganz anders gewesen sein.«
    Dann bückte sie sich und packte Pablos Rucksack zurück in den Wagen.
     
    Es war schon später Abend, als sie in München ankamen. Clara verspürte trotz ihrer Erschöpfung und trotz ihres Schmerzes angesichts dieser unendlich traurigen Geschichte ohne Sieger und ohne Trost eine bittersüße Prise Triumphgefühl. Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihn zurückgebracht. Genau so, wie sie es Ruth versprochen hatte.
    Pablo hatte während der gesamten Fahrt schweigsam neben ihr gesessen und bei jedem Stopp einen Tee und ein Glas Wasser getrunken. Gegessen hatte er fast nichts, obwohl ihm Clara immer wieder etwas von ihrem Lunchpaket angeboten hatte. Sie hatten während der langen Fahrt kaum ein Wort gewechselt, nichts Persönliches, keine Fragen, keine Geschichten zu erzählen gehabt. Wie eine Wand war Ruth zwischen ihnen gestanden und hatte jedes Gespräch verhindert.
    Clara lenkte den Wagen zur Kanzlei. Sie wollte von dort Willi anrufen und ihm Bescheid geben, dass sie zurück war, und dann noch einmal mit Jakob Schelling reden. Gemeinsam überlegen, was sie als Nächstes tun sollten. In ihrem Büro brannte Licht. Clara runzelte die Stirn. Es war Samstagabend. Weshalb arbeitete Willi noch? Es war sonst gar nicht seine Art. Doch auf der Suche nach einem Parkplatz sah sie seinen Volvo am Straßenrand stehen. Also musste er da sein. Sie fand eine Parklücke eine Straße weiter, und sie stiegen steif von der langen Fahrt aus.
    Etwas nervös näherte sich Clara ihrer Kanzlei, Jakob und Elise folgten ihr. Sie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, dass Willi noch da war, womöglich auf sie wartete. Beklommen stieß sie die Tür auf.
    Willi saß an seinem Schreibtisch und hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen. Als er die Tür hörte, schrak er hoch. »Clara!« Seine Stimme war verhalten, durch irgendetwas gebremst. Er stand auf und ging auf sie zu. Sein Blick wanderte zu dem fremden Mann in Claras Schatten, und Clara stellte ihn hastig vor.
    »Das ist Herr Schelling, ein Freund von Ruth Imhofen. Er kann uns helfen. Wir werden es dir erklären …« Sie verstummte, als sie Willis Gesicht sah, und wurde kreidebleich. »Was ist passiert?«, flüsterte sie, und ihre Stimme gehorchte ihr kaum. »Was ist passiert?«
    Willi hob hilflos die Hände und schüttelte den Kopf. »Wollt ihr euch nicht vielleicht erst einmal setzen? Ihr hattet eine lange Fahrt. Wir könnten zu Rita …«
    »Willi! Bitte! Claras Stimme hob sich, und sie hörte selbst, wie nahe sie daran war zu kippen.
    Willis Blick wanderte von Jakob Schelling, der stumm und reglos wie eine Statue neben der Tür stand, zu Clara, die ihn mit angstvollen Augen anstarrte.
    Er seufzte. »Ruth hat gestern Abend versucht, sich umzubringen, Kommissar Gruber hat sie gefunden, er ist noch einmal in die Klinik gefahren, weiß der Himmel, warum, und da fand er sie, sie hatte versucht, sich aufzuhängen.«
    »Versucht?«, wiederholte Clara langsam, und ihre Stimme zitterte. »Aber er hat sie noch rechtzeitig gefunden, ja? Gruber hat sie retten können?«
    Willi warf ihr einen langen Blick zu, dann senkte er den Kopf. »Sie hat noch gelebt, war aber ohne Bewusstsein. Die Ärzte haben alles versucht, aber sie ist nicht aufgewacht. Gruber sagte, es hatte den Anschein, als wolle sie nicht mehr aufwachen.«
    »Du meinst … sie … ist … ist sie im Koma?« Clara packte seinen Arm. »Wir müssen zu ihr, sofort! Wenn sie hört, dass Pablo zurückgekommen ist, dann wird sie aufwachen. Dann ist alles gut. Ich habe ihn zurückgeholt! Ich hatte es ihr versprochen! Ich hole ihn zurück, habe ich zu ihr gesagt …«
    »Clara!« Willis freie Hand legte sich um ihre Finger, die sich in seinen Unterarm krallten. »Ruth wird nicht mehr aufwachen. Sie ist tot.«
    Clara öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus.
    Willi hielt ihre Hand fest und redete weiter: »Vor einer Stunde hat Gruber mich angerufen, er war die ganze Zeit dabei. Deshalb bin ich noch mal in die Kanzlei gefahren. Ich dachte, du kommst vielleicht hierher.«
    »Nein«, sagte sie leise und schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Das ist nicht wahr!« Clara fühlte, wie ihr kalt wurde, ihre Fingerspitzen waren plötzlich wie taub. Sie ließ Willis Arm los und entzog sich seiner Hand. »Ich muss da hinfahren. In die Klinik.« Sie wandte sich an Jakob
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