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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Autoren: Jakob Arjouni
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ist ernstlich gefährdet. Es gibt mehrere Morddrohungen von verschiedenen islamistischen Organisationen, und sogar Intellektuelle greifen das Buch und unseren Autor scharf an.« Sie presste die Lippen unwillig zusammen. »Unser Verleger nimmt mit der Veröffentlichung ein ziemliches Risiko auf sich.«
    »Um was geht’s in dem Buch?«
    »Ein Roman. Er spielt in einer Polizeistation in einem fiktiven arabischen Land, allerdings ist als Vorbild ziemlich deutlich eines der Maghrebländer zu erkennen. Nun…« Katja Lipschitz schaute mir in die Augen, als hoffte sie, dort etwas lesen zu können. Ein bisschen erinnerte ihr Blick an den von Valerie de Chavannes, bevor sie mir sagte, dass der Streit mit Abakay und Marieke an jenem Abend um die Mohammed-Karikaturen ging.
    Ich nickte ihr aufmunternd zu. »Ja?«
    »Also, die Hauptfigur, ein Kommissar, entdeckt während einer Ermittlung im Strichermilieu homosexuelle Neigungen an sich. Er verliebt sich in einen Jungen, sie beginnen eine Affäre, er bringt seine Ehe, seinen Job in Gefahr, am Ende sogar sein Leben. Dabei verhandelt das Buch natürlich eigentlich das Verhältnis der muslimischen Gesellschaft zur Homosexualität. Es gibt Passagen, in denen denkt der Kommissar – ein bis dahin gläubiger Moslem – über den Koran, Gott und gleichgeschlechtliche Liebe nach und wendet sich in seiner Verzweiflung und Wut gegen seine Religion. Gleichzeitig beschreibt das Buch einen Abgrund an Drogen, Sex, Armut und Kriminalität, also eine im Grunde völlig unheilige Gesellschaft. Die Religion ist nur noch dazu da, das allgemeine Elend zu kaschieren und die Leute ruhigzuhalten – verstehen Sie?«
    »Verstehe. Und der Autor hat selber…«, ich konnte mir eine leichte Imitation von Katja Lipschitz’ übervorsichtigem Tonfall nicht verkneifen, »…homosexuelle Neigungen?«
    »Nein, nein, die Geschichte ist reine Fiktion.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Mit dem leicht erschöpften Blick, den fast alle Frauen bekommen, wenn sie über plumpe, unwillkommene Annäherungsversuche von Männern sprechen, sagte sie: »Er war letztes Jahr im Verlag, und ich habe ihn zu mehreren Interviews begleitet.«
    »Wie groß ist er?«
    »Als Autor?«
    »Nein, als Körper.«
    Sie runzelte die Stirn. »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Nun, die Marokkaner, denen ich bisher begegnet bin, waren alles keine Riesen, und ich bilde mir ein, wenn ein eher kleiner Mann versucht, sich an eine so stattliche Erscheinung, wie Sie es sind, heranzumachen, gibt mir das Aufschluss über seinen Charakter.«
    »So?« Einen Augenblick lang hielt sie mich ganz offensichtlich für bescheuert. »Er ist tatsächlich eher klein. Welchen Aufschluss gibt Ihnen das?« Ihr Ton war streng, sogar ein bisschen wütend. Vielleicht ärgerte sie die »stattliche Erscheinung«. Dabei hatte ich es als Kompliment gemeint.
    »Falls er ernsthaft an Ihnen interessiert war und Äußerlichkeiten wie Körpergröße kaum mehr eine Rolle gespielt haben – gar keinen. Aber falls er die Sorte Mann ist, die einfach auf alles draufzuspringen versucht, was weiblich ist, egal wie die Chancen stehen, wäre das im Falle eines Vierundzwanzig-Stunden-Personenschutzes kein ganz unerhebliches Element.«
    Sie stutzte, überlegte kurz, dann nickte sie. »Da haben Sie natürlich recht. Tja…«
    Wieder überlegte sie. Das Thema war ihr unangenehm, doch nicht so sehr, wie es ihr in ihrer Position wohl hätte sein sollen. Ein gewisses Vergnügen daran, ihre Sicht möglichst deutlich zu machen, weil es die Situation so verlangte, konnte sie nicht verbergen.
    »Er lässt tatsächlich nichts anbrennen. Oder besser: Er würde gerne nichts anbrennen lassen. Seine Annäherungsversuche sind nicht sehr erfolgreich. Ich war zwei Tage mit ihm unterwegs, und mit keiner der Frauen, denen er seine Avancen machte, lief etwas. Verstehen Sie mich nicht falsch: Er ist sehr nett, sehr gebildet und sieht sogar ganz gut aus, aber…«
    Sie hielt inne.
    Ich sagte: »Er geht einem auf den Wecker.«
    »Vielleicht kann man das so beschreiben, ja. Dabei tut er mir leid. Sehen Sie, ich glaube, er begreift einfach nicht, dass es zwischen den Geschlechtern hier anders zugeht, dass die Kommunikation gleichberechtigter funktioniert, dass wir…«
    Sie hielt inne. Das Wörtchen »wir« hallte lautlos nach, als wäre Katja Lipschitz ein Pups entfahren und sie hoffte nun, ich würde das Geräusch dem knarrenden Sessel zuordnen. Wir, die zivilisierten Europäer Lipschitz und Kayankaya, und er, der
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