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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition)
Autoren: Dörthe Binkert
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Engelsgeduld und schob, wenn er mit dem Pinsel Tusche in die Feder strich, die Unterlippe vor. Karl machte zu dieser Zeit bereits eine Lehre als Gebrauchsgrafiker in einem Atelier und ging in Wuppertal auf die Gewerbeschule. Die Typografie hatte es ihm besonders angetan Er kannte alle möglichen Schriften, aber die deutsche Fraktur war beim Bann Ehrensache. Karls Chef war mit der Aufgabe betraut, die Bannchronik zu gestalten, und Karl, sein Lehrling, verpatzte nicht ein Wort. Darauf konnte man sich verlassen.
    Wie gern hätte Theo seine Familie gegen Karls Familie eingetauscht. Nicht nur wegen Karls Schwestern, aber auch. Karl war sozusagen eingebettet zwischen der älteren Elisabeth und der Jüngsten Marie, bildschönen Mädchen, die nacheinander eine Verkäuferinnenlehre im Textil- und Modehaus Löwenstein machten und dort gelegentlich Kleider vorführen durften. Auf Fotos waren sie in duftigen Sommerkleidern und großen Strohhüten zu sehen, die die Augen beschatteten und der Schönheit der Mädchen etwas Geheimnisvolles gaben. Manchmal brachte Elisabeth Bonbonnieren von der Confiserie Höfer nach Hause, die aufmerksame Kunden ihr im Laden verehrt hatten und von deren Inhalt auch Karl und Theo kosten durften. Die Pralinenschachteln von Höfer hatten so üppig breiteSchleifen aus Satin wie die, die Karls Mutter ihren Töchtern ins Haar gebunden hatte, als sie noch klein waren. Elisabeth hatte dunkle Haare, ein herzförmiges Gesicht und tiefblaue Augen, Marie war blond und helläugig wie Karl, ein leises, bescheidenes Mädchen, das der älteren Schwester grundsätzlich den Vortritt ließ.
    Die drei Kinder der Osterlohs waren wie am Schnürchen auf die Welt gekommen, jeweils mit exakt zwei Jahren Abstand. Theo hingegen war ein Einzelkind. Er besuchte das Gymnasium, eine Selbstverständlichkeit für den Sohn eines Lehrers.
    In seinem Denken war der alte Schulze in der deutschen Vergangenheit verwurzelt, und da vor allem in dem doch eben erst unter Bismarck und dem Kaiser erblühten National-, Militär- und Beamtenstaat. Er hielt rein gar nichts von den Versuchen der kränkelnden Weimarer Republik, demokratisches Denken in deutsche Köpfe zu pflanzen. Theos Vater war von Anfang an ein Nationalsozialist gewesen, überzeugt, dass nur eine starke Führung und nicht die linken Verräter, die den Versailler Frieden unterzeichnet hatten, das in den Staub gezwungene Deutschland wieder aufrichten konnten. Mit dieser Meinung hielt Ludwig Schulze nie hinter dem Berg, und er verbreitete sich auch gern am Sonntagmittag darüber, sodass sich das Essen hinzog. Theo bemühte sich zuzuhören, während er mit der Zunge die zwischen den Zähnen verkeilten Fasern des Sonntagsbratens zu lösen versuchte.
    »Wir haben es ja erlebt«, sagte sein Vater, und es war, als säße man jeden Sonntag in der gleichen Predigt, »was es geheißen hat, als im November 1918 der sozialistischeArbeiter- und Soldatenrat unsere Stadt verwaltete. Offene Gefechte zwischen den Roten und dem Freikorps Lichtschlag alle Tage. Was, Käthe? War doch, als ob der Krieg gar nicht aufgehört hätte.«
    Theo streifte verstohlen eine Fleischfaser am Stuhlbein ab.
    »Das hätte ich euch gleich sagen können, dass die Reichswehr dem Gerangel hier kein Ende macht«, fuhr Ludwig Schulze fort, »egal, wie gründlich sie im Frühling 1920 die rote Ruhr-Armee niedergeschlagen haben. Eine schwache Regierung hat eben stumpfe Waffen.«
    Theo kannte jedes Wort auswendig. Gleich würde sein Vater auf die Ruhrbesetzung durch die Franzosen kommen.
    »Guck nicht aus dem Fenster, wenn ich mit dir rede!«
    Theo gab sich einen Ruck.
    »1923.   Vergiss dieses Datum nie, Theo. Da sind die Franzosen in deine Heimat einmarschiert. Wollten unsere Ruhrkohle beschlagnahmen, weil wir die blutsaugerischen Reparationsforderungen nicht erfüllen konnten. Aber der Führer, die deutsche Jugend und auch du«, er zeigte mit dem Finger auf Theo, »wirst die Schande der Ruhrbesetzung und die von Versailles eines Tages tilgen.«
    Der Bogen zur Gegenwart war geschlagen. Theo nickte erleichtert. »Ja, Vater, das weiß ich. Darf ich jetzt zu Karl?«
    Theos Geburt war kompliziert gewesen. Käthe Schulze solle besser keine weiteren Kinder bekommen, meinte der Arzt, obwohl sie damals blutjung war, gerade mal einundzwanzig. So suchte sie sich andere Betätigungsfelder, engagierte sich in der N S-Frauenschaft und war eine begeisterteTurnerin. Dass Theo nicht besonders sportlich war, sondern sich mehr für Musik
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