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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition)
Autoren: Dörthe Binkert
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verlegt. Rückzug. Weiterer Rückzug. Noch in Italien geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft.Dort ging es ihm gut, er konnte sich fast frei bewegen. Das Wort Kriegsgefangenschaft passt eigentlich nur zu den letzten wenigen Wochen, wo sie in einem Kriegsgefangenenlager auf die Entlassung vorbereitet wurden. Mit einigen Italienisch- und Englischkenntnissen und ohne jede Verwundung kehrte Theo nach Hause zurück.
     
    In den Turnhallen der Stadt waren kurz nach Kriegsende Ausgebombte und Flüchtlinge untergebracht. Theos Mutter konnte nicht mehr turnen, auch die N S-Frauenschaft gab es nicht mehr. Theos Vater, Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes und Parteimitglied der NSDAP seit 1925, wurde nicht wieder als Lehrer angestellt. Er blieb nach Möglichkeit im Haus, und Käthe sah zu, was sie auf dem Schwarzmarkt oder bei den Bauern auf dem Land tauschen konnte. Die Rationen der Lebensmittelmarken waren ein Hohn, wenn man überhaupt bekam, was daraufstand.
    Theo fühlte sich, wie früher schon, zu Hause fremd. Er wollte leben, neu anfangen, er war noch jung und wollte etwas lernen. Sein Vater war damit einverstanden, dass er studierte. Die ersten Züge fuhren, überquellend voll, schon bald wieder auf behelfsmäßig instand gesetzten Schienen, hielten an zerbombten Bahnhöfen oder Ersatzbahnhöfen. Und so fuhr Theo morgens in die nahegelegene Universitätsstadt und kam erst abends zurück.
    Die alte Wohnung von Karls Familie nahe den Bahngleisen, in der Theo sich als Junge wie daheim gefühlt hatte und in der er im Winter so ungern aufs Klo im Zwischenstock gegangen war, weil einem bei Kälte fast der Hinternauf der Klobrille festfror, gab es nicht mehr. Eine kümmerliche Trümmerbirke hatte schon in einer Mauerritze der Ruine Wurzeln geschlagen. Doch Theo fand einen Zettel, den Heinrich und Selma Osterloh für alle, die nach ihnen suchten, an der Mauer befestigt hatten. Das Papier war schon ziemlich unleserlich, aber er konnte die Adresse entziffern, wo sie untergekommen waren.
    Theo besuchte die Osterlohs im Haus der Witwe Strautkamp, wo sie einquartiert worden waren. Aber es war nicht mehr wie früher. Theo war kein Junge mehr. Karls Mutter nähte noch, aber ein Kanarienvogel sang nicht mehr dazu. Ihr aschblondes Haar war weiß geworden. Theo bemerkte es nicht gleich, weil sie ihr Haar nach wie vor in einem Knoten trug.
    »Eine Brandbombe«, sagte sie, als er nach Karl und seinen Schwestern fragte. Sie wollte weitersprechen, schüttelte dann aber den Kopf. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    Er legte die Hand auf ihren Arm.
    »Der Großangriff vom 2.   Dezember 44«, sagte sie schließlich. »Es waren Hunderte von britischen Maschinen in der Luft. Ich weiß nicht, wieso es keinen Voralarm gab, was mit unserer Luftverteidigung los war. Gleich Vollalarm, ohne Vorwarnung. Abends um halb neun. Wir rannten los, Marie und ich, Richtung Bunker, aber da fielen die Bomben schon. Alle rannten, die einen wollten zum Bunker, andere versuchten, in irgendwelche Hauskeller zu kommen. Aber beim ersten Großangriff waren die Kellerausgänge oft von den Trümmern der Häuser verschüttet worden, und die Menschen kamen dann nicht mehr raus. Marie und ich schrien uns zu, dass wir lieber bis zum Bunkerwollten. Dann wurden wir getrennt, ich stolperte, fiel hin, blieb zurück. Die Stadt war feuerrot erleuchtet von den Kaskaden der Zielmarkierungen. Die Brandbomben fielen wie Hagel. Von unserer Flakabwehr keine Spur.« Sie verstummte, aber Theo hatte längst verstanden.
    Dann sagte sie, als wolle sie die Geschichte nun doch zu ihrem schrecklichen Ende bringen: »In der Marienkirche haben sie die Toten gesammelt, Menschenreste, Leichenteile lagen da in langen Reihen. Die Polizeibeamten nahmen die Personalien auf, wenn ein Angehöriger jemanden wiedererkannt hatte.«
    Theo schwieg.
    »Zinkblechwannen voller Leichenteile brachten sie herein«, sagte Karls Mutter so leise, dass Theo sie fast nicht mehr verstand.
    Er lehnte sich weit zu ihr vor.
    »Wenigstens habe ich sie gefunden. Sie ist von den Trümmern eines einstürzenden Hauses getroffen worden. Nicht weit vom Bunker entfernt. Ich habe ihr Kleid erkannt. Das Kleid, das sie unter dem Mantel trug. Das hatte ich ihr doch genäht.«
    Als er sich verabschiedete, umarmte sie ihn.
    »Viola hat uns vor kurzem besucht«, sagte sie, als sie schon an der Tür standen. »Sie wollte nach Marie fragen. Die beiden hatten sich so lange nicht gesehen. Viola, Maries Schulfreundin,
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