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Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See

Titel: Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Autoren: Diana L. Paxson
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hatte Madrun verloren, und das Nachtgewand, in dem sie geschlafen hatte, war schmutzig und zerrissen. Aber zumindest verfolgte sie niemand mehr. Behutsam, weil die überanstrengten Muskeln sich versteift hatten und ihr ganzer Körper schmerzte, kroch sie aus den Haselsträuchern hervor und zum Bach hinab. Das kühle Wasser löschte ihren Durst und linderte einen Teil der Schmerzen in ihrem Gesicht und an den Armen. Danach setzte sie sich auf, sah sich um und stellte fest, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie war.
    Argante hätte gewusst, wie man den Weg aus dem Wald findet, sagte sie sich und blickte um sich. Was hätte sie nun getan? Was ser strömt zum Meer, dachte sie, und die Straße verläuft dort ent lang. Sie brauchte nur dem Bach zu folgen.
    Einmal erwachte Madrun in der Nacht aus einem schrecklichen Traum; nachdem sie festgestellt hatte, dass sie sicher vor Gefahr und Kälte war, schlief sie alsbald wieder ein. Als sie neuerlich erwachte, spürte sie Licht durch die geschlossenen Lider dringen. Zaghaft regte sie sich und zuckte zusammen. Was hatte sie am Tag zuvor getan, dass sie sich heute so wund fühlte? Sie erinnerte sich an kämpfende Männer und eine angsterfüllte Flucht durch den Wald, aber das war gewiss in ihrem Alptraum gewesen, denn nun befand sie sich in einem warmen Bett…
    Sie schlug die Augen auf. Über ihr drang Licht durch die grünen Blätter. Die Luft jedoch wirkte völlig still. Sie lauschte und erkannte, dass jenes Geräusch, das sie für den Wind gehalten hatte, jemandes Atem war. Ihre tastenden Finger schlossen sich um Fell. Jäh ruckte sie hoch, drehte sich um und starrte in ein plattes Antlitz mit breiter Nase. Über einem Paar dunkler Augen wucherte braunes Haar, so dicht wie das Fell eines Bären.
    Keuchend versuchte Madrun fortzukriechen. Eine langfingrige Hand an einem sehnigen, ebenfalls fellbedeckten Arm schoss vor und schloss sich um ihren Knöchel. Der Griff war nicht fest genug, um zu schmerzen, doch er reichte, um sie festzuhalten.
    Madrun schluckte ihre Angst hinunter und musterte ihren Häscher. Hätte das Ungetüm vor, sie zu fressen, wäre sie bereits tot. Sie sah lange Beine, überaus menschenähnliche Füße, eine dicke, fassgleiche Brust und – rasch wandte sie den Blick ab. Er – nicht es – war unverkennbar männlich, aber doch kein richtiges Tier. Als Ganzes betrachtet, erkannte sie in dem Wesen die Ursprünge der verzerrten Masken und Kittel aus zerfranster Wolle, die Menschen bei verschiedenen Festen anlegten. Es war ein Wilder Mann.
    Madrun hatte gehört, sie wären alle tot oder hätten sich zumindest in die Gebiete hoch im Norden zurückgezogen. Was tat er hier? Rings um das Gesicht sprenkelten weiße Haare das dunkle Fell. War er der Letzte seiner Rasse in Britannien?
    Sie kramte in ihrem Gedächtnis nach den alten Geschichten. Das Wildvolk galt als scheu, konnte jedoch verbissen kämpfen, wenn es in Gefangenschaft geriet. Manchmal rettete es verirrte Kinder und kümmerte sich um sie, bis sie gefunden wurden. Der Gedanke ließ Hoffnung in Madrun aufkeimen. Sie leckte sich die trockenen Lippen und deutete zum Bach.
    Der Wilde Mann gluckste tief in der Kehle und ließ ihren Knöchel los. Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg zum Bach, schöpfte mit den Händen Wasser und trank. Dann begab sie sich hinter ein Weidengrüppchen, um sich zu erleichtern. Immer noch spürte sie unbehaglich seinen wachsamen Blick im Rücken. Als sie jedoch versuchte, sich weiter fortzubewegen, erhob er sich halb und stimmte ein tiefes Grollen an, bis sie zurückkehrte.
    Später an jenem Vormittag verließ der Wilde Mann sie, und Madrun versuchte abermals zu fliehen, doch er fand sie, als sie noch kaum außer Sichtweite der Eiche war, und trug sie unter dem Arm zurück. Ein paar zarte Wurzeln und frisches Grünzeug lagen neben dem Baumstamm auf dem Boden, zudem ein Stück Honigwabe. Nach wie vor weinend, begann Madrun gierig zu essen.
     
    Die schmale Sichel des Neumondes begann anzuschwellen; indes dauerte Madruns Gefangenschaft ohne größere Veränderungen an. Untertags folgte sie dem Wilden Mann und lernte, welche Pflanzen man essen durfte. Nachts schlief sie warm und wohlbehalten in seinen Armen. Die kärglichen Mahlzeiten aus Knollen und rohem Grün ließen sie abmagern, und als die Larven und rohen Vogeleier, die der Wilde Mann ihr brachte, allmählich köstlich für sie aussahen, begann sie neuerlich zu weinen. Sie versuchte, um Erlösung zu beten, doch hier im Wildwald
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