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Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See

Titel: Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Autoren: Diana L. Paxson
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vor.

II
    D er wilde Mann
    A.D. 425-429
     
    Die Straße von Luguvalium nach Deva verlief in südlicher Richtung durch die Hügel und danach gerade über das flache Land, der Meeresküste folgend. In jenen Zeiten galt keine Route als vollkommen sicher, doch nach allem, was Madrun im vorigen Herbst gesehen hatte, scheute sie sich, über den Seeweg nach Maridunum zurückzukehren.
    Je näher Beltene rückte, desto wärmer wurde es. Unter den Hecken sprossen Grüppchen blassgelber Schlüsselblumen, zudem zeigten sich die ersten sternförmigen Hagedornblüten. Mit jedem Tag, der friedlich zu Ende ging, verblasste die Angst, die Madrun bei jedem Rucken der Pferdesänfte zusammenzucken ließ, und sie begann die Reise zu genießen. Nie zuvor, dachte sie, war ihr aufgefallen, wie wunderschön das Land sein konnte. Sie lachte über die Possen der jungen Lämmer auf den Hügeln und flocht die Blumen, welche die Männer ihrer Leibgarde für sie pflückten, zu Kränzen für die Haare der Soldaten. Madrun lauschte ihren Gesängen und lachte, denn es war das Lied, das die Burschen und Mädchen sangen, wenn sie auszogen, um Blumen für Beltene zu sammeln.
    Nach zweiwöchiger Reise gelangten sie in Sichtweite der nördlichen Küste der alten Länder der Deceangli, die sich nach Westen zum Meer hin erstreckten. Hier verlief die Straße zwischen dem Wasser und dem Wald. Ein weiterer langer Tagesmarsch würde sie nach Deva bringen – und zu einem Bad, dachte Madrun sehnsüchtig, und zu einem weichen Bett.
    Wer die Gegend rings um das Lager betrachtete, käme wohl nie auf den Gedanken, dass sich ganz in der Nähe eine bedeutende Niederlassung römischer Zivilisation befinden könnte. In dieser Nacht würde sie sogar auf die kümmerlichen Bequemlichkeiten einer Hirtenunterkunft verzichten müssen. Seit Mittag waren sie lediglich an einem verfallenen Gehöft vorbeigekommen. Die Männer waren bereits damit beschäftigt, Äste zu schneiden, um eine Laube aus Gezweig für Madrun zu errichten. Immerhin hatten sie Wasser und Feuerholz, zudem erwies der Abend sich als ruhig und wunderschön. Sie beobachtete, wie die Sonne in der hibernischen See versank, und fühlte sich im Einklang mit der Welt.
    In Wald und Wiese mochte es wohl Frieden geben, anders verhielt es sich mit der Welt der Menschen. Kurz vor dem Morgengrauen ruckte Madrun unter den Decken hoch und fragte sich, was sie geweckt hatte. Sie sah sich nach dem wachhabenden Krieger um und konnte ihn nirgends entdecken. Furcht und Schrecken verscheuchten die letzten Reste von Schläfrigkeit, und sie holte Luft, um eine Warnung zu rufen, doch just in jenem Augenblick explodierte die Finsternis.
    Schwertklingen blitzten rötlich auf, als jemand in die Kohlen trat und das eingefasste Feuer zornig aufloderte. Madrun hörte ein Grunzen und sah, wie eine der kämpfenden Gestalten fiel; Blut ergoss sich über ihre Hand. Keuchend mühte sie sich auf die Beine. Skotische Brandschatzer… schoss es ihr durch den verwirrten Verstand. Aber das Meer war doch frei! Woher sind sie gekommen?
    Krampfhaft zog sie die Decke um sich und versuchte, Freund von Feind zu unterscheiden. Im zunehmenden Licht erkannte sie, dass mehrere Krieger ihrer Leibgarde gefallen waren. Die Übrigen reichten nicht aus, um dem Ansturm der Angreifer Einhalt zu gebieten, von denen einige bereits begannen, die Stapel der Ausrüstung zu durchwühlen.
    Einer von ihnen erblickte sie und grinste; mit erschreckender Deutlichkeit erinnerte Madrun sich an das brennende Landhaus und den Leichnam des kleinen Mädchens. Als der Skote auf sie zusteuerte, verwandelte sich der Schrecken, der ihre Glieder gelähmt hatte, in heiß loderndes Entsetzen, und sie preschte los.
    Madrun flüchtete wie ein verängstigtes Reh, rannte in Zweige und stolperte über Wurzeln und Steine. Als sie endlich zum Stehen kam, atemlos und aus einem Dutzend Kratzern blutend, hörte sie im Unterholz hinter sich Geräusche und zwang die zitternden Beine, sie weiterzutragen.
    Als letztlich auch die furchtbedingte Kraft versiegte, zwängte Madrun den schlanken Leib durch ein Loch, das irgendein Wesen in die verworrenen, niedrigen Zweige eines Haselhains gerissen hatte, und lag still. Ob sie danach das Bewusstsein verlor oder nur schlief, wusste sie später nicht mehr. Doch als sie wieder erwachte, herrschte bereits helles Tageslicht, und den Wald ringsum erfüllten einzig das harmonische Gurgeln eines nahen Baches und die fröhlichen Morgenlieder der Vögel.
    Die Decke
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