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Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen

Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen

Titel: Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen
Autoren: Simon Borowiak
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Formular durch, mit einer Art »gestrengem« Gesichtsausdruc k – falls man bei einem Rentier von Gesichtsausdruck reden kann. Dann trat es vorsichtig mit seinem rechten Vorderhuf auf das Stempelkissen, schwenkte dann akrobatisch das Stempelbein nach links über das Formular und setzte den Huf genau in das dafür vorgesehene Stempelfeld. Es schien ein sehr akribisches Rentier zu sei n – was wahrscheinlich auch der Grund für die spürbare Spannung zwischen der Fee und ihm war. Ihr Arbeitsverhältnis konnte man nämlich nur als »sehr angespannt« bezeichnen. Denn wenn die Fee ihn anschaute, war ihr Blick voller Abneigung, und wenn er schnaubte, dann klang dies auch nach allem anderen als nach kollegialer Herzlichkeit.
    Wie wohl ein Feierabend der beiden aussah? Verabschiedeten sie sich voneinander? Und wenn ja, wie: förmlich oder gar nicht? Vielleicht hatte Herr Rudi auch schon diverse Versetzungsanträge gestellt? Mit dem Wunsch, zu einer »ordentlichen«, seriösen Fee zu kommen? Oder war er seinerseits in seinem notariellen Geschäft solch eine Null, dass keiner seiner Versetzungswünsche respektiert wurde? Vielleicht waren ja beide derartige Versager in ihrem Beruf, dass sie einfach als ein Gespann der unteren Kategorie losgeschickt wurden? Dies schien mir nicht unlogisch: E r – ein akribischer, depressiver Aushilfsnotar, si e – eine versoffene Schlampe, der man keine Procura für Größeres geben durfte, weil sie sonst ein unglaubliches Schindluder damit treiben würde. Und dass in diesem Doppel die eine Null der anderen Null ihr Nullsein nicht verzeihen könnte, das leuchtete mir ein. Beinahe stiegen mir wieder die Tränen in die Augen: Was war ich für ein Pechvogel! Die Freundin weg, aber dafür Besuch von der untersten Kaste der Märchenwesen! Wahrscheinlich hatte jeder Gnom oder Troll mehr Vollmachten als diese beiden Loser!
    Herr Rudi tappte wieder zurück ans Fenster und stellte sich neben den Tannenbaum. Erst in diesem Moment ging mir auf, dass der immer noch »kalt« war und die schönen roten Kerzen nicht brannten.

    »So!«, rieb sich die Fee die Hände, »das war das! Und jetzt zum nächsten!« Eifrig und wie eine plötzlich aufgezogene Spieluhr begann sie zu summen und nun den Coupon Nummer zwei auszufüllen: »Also, ich nehme einmal die Quattro staggione.« Dann an mich gewandt: »Du musst die Wünsche laut aussprechen. Sonst gilt es nicht. So ist halt das Wunschgesetz.« Und jetzt diktierte sie mir, was ich zu wünschen hätte: »Eine Quattro staggione und zwei Flaschen Barolo!« Und fügte großzügig hinzu: »DU darfst dir natürlich auch was wünschen.«
    »Dass wird mir aber auch garantiert NICHT von meinen drei Wünschen abgez…?«
    »Also, mehr als dir mein Ehrenwort geben, kann ich nicht!«, herrschte sie mich so patzig an, dass ich um ein Haar den Kopf eingezogen hätte.

    Ich überlegte, was denn zu den Lieblingsspeisen meiner Bernadette gehört e – ja klar! »Ich wünsche mir zwei Mal Vitello tonnato, zwei gemischte Salate und zwei Mal Tiramisu.«
    Damit könnten wir dann unsere Versöhnung feiern:
    »Bernadettes Lieblingsspeise, gell?«, sagte die Fee helle.
    »Ja, denn wenn du mich nicht angelogen hast, kann ich das noch heute Abend brauchen.«
    »Ich lüge nie! Ein Deal ist ein Deal! Und es ist jetzt ja alles in die Wege geleitet! Du wirst schon sehen!«, empörte sich die Fee erneut. Überhaupt schien sie extrem launenhaft, labil und immer mit einem Fuß in der Cholerik. »Herr Rudi, wenn ich Sie abermals um einen Stempel bitten dürfte?«
    Das Rentier machte sich erneut auf den Weg zu Zettel und Stempelkissen. Diesmal las Herr Rudi den Wunschzettel mit nun völlig unverhohlener Mißbilligung. Er zögerte. Die Fee pampte ihn an: »DAS läuft über unser Spesenkonto! Das ist völlig okay! Spielen Sie hier nicht den überkorrekten Pinkel!«
    Ich fragte vorsichtig: »Nimmt Herr Rudi denn gar nichts?«
    »Das ist alles nicht nach seinem Geschmack«, erklärte die Fee, »wie ich ihn kenne, hat er mehr Interesse an deinem Tannenbäumchen.«
    Herr Rudi beendete unterdes die Lektüre des Wunschzettels, und mit unübersehbar angewidertem Gesicht (es ist erstaunlich, über wie viele Gesichtsausdrücke so ein Rentier verfügt) setzte er seinen Hufstempel in das Stempelfeld unserer Bestellung.
    »Ich wette«, sagte die Fee, »dass er jetzt am liebsten deinen Baum anknabbern würde.«
    Herr Rudi und ich sahen uns a n – und irgendwie sah er tatsächlich aus wie jemand, der gerne
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