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Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen

Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen

Titel: Bring mir den Kopf vom Nikolaus - Ein Weihnachtsmaerchen
Autoren: Simon Borowiak
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erneut, stöhnte und trug dazu einen so müden, verzweifelten Gesichtsausdruck, dass ich die Tür öffnete.
    »Danke!«, rief die Frau wie am Ende ihrer Kräfte. »Um unseres lieben Heilands Willen: Dürfte ich mal Ihr Klo benutzen?«
    Wer hätte einen Menschen in solcher Pein abweisen können? Also machte ich hoch die Tür und weit das Tor, wies stumm in Richtung Badezimmer, und nachdem die Frau eilig darin verschwunden war, stand ich nun etwas überfordert dem Rentier gegenüber, das mich so traurig und fragend anschaute, dass ich es mit verlegener Geste ebenfalls in die Wohnung einlud; nur mit einer typischen Gastgebergeste, denn ich war mir nicht sicher, ob und wenn ja welche Sprache so ein Rentier spricht. Das Ren nickte dankend und betrat dann, vorsichtig seine ulkigen Rentierhufe voreinander setzend, mein Wohnzimmer. Aus dem Badezimmer hörte man erleichtertes Stöhnen und dann die Wasserspülung. Mangels Erfahrung im Small-talk mit Rentieren standen das Tier und ich uns schweigend gegenüber, dann kam die Frau wieder aus dem Badezimmer zurück:
    »Tausend Dank! Gott segne Sie! Wir sind jetzt seit vier Stunden unterwegs, der Job macht mich noch ganz krank! Wäre es zu viel verlang t – bitte: Dürfte ich mich kurz setzen?«
    Und schwuppdich saß die Frau auf dem brettharten Ikea-Sofa, das mir Bernadette eingebrockt hatte; ich persönlich hätte auch ohne Sofa leben können, aber Bernadette war da seinerzeit anderer Ansicht. Dass sich das Sofa im Praxistest als bretthart erwies, war ihr natürlich auch nicht recht gewesen. Weiber.
    Das Geschöpf auf dem Sofa streifte nun seine braunen Stiefelchen ab, ließ die müden Füße kreisen und stellte fest, dass das Sofa doch recht hart geraten sei:
    »Richtig gemütlich ist das aber nicht.« Und: »Mein Job bringt mich um!«, wiederholte sie, erneut aus ganzem Herzen stöhnend.
    »Was genau ist denn Ihr Job?«, fragte ich der Höflichkeit halber. Man hat ja nun doch einen Rest von Kinderstube im Leibe.
    Sie sah von ihren Füßen hoch, sah mich direkt und ernst an und sagte tatsächlich:
    »Halten Sie mich nicht für verrückt, aber ich bin eine gute Fee.« Dann streckte sie mir zum Gruß die Hand hin und sagte: »Ich bin die Linda.«
    Was ist eigentlich die angemessene Reaktion, wenn man plötzlich eine sogenannte »Fee« in seinem Wohnzimmer hat, während im Hintergrund ein depressiv wirkendes Rentier an deinem Weihnachtsbäumchen herumlungert?
    Ein jeder von uns hat doch eine ziemlich genaue Vorstellung, wie eine offizielle Fee auszusehen hat. Meine »Fee« hier sah dann doch etwas anders aus. Also überkamen mich Zweifel an der Echtheit ihrer Aussage.
    Zum Beispiel: Darf eine Fee schwarze Leggins tragen, darüber einen langen, grob gestrickten Pullover mit Zopfmuster? Darf sie strähnige Haare haben? Und dicke Ringe unter den Auge? So, wie sie hier auf meinem Sofa saß, hätte sie genauso gut in einer drittklassigen Kneipe am Tresen hängen können. Sie hatte noch nicht mal einen Zauberstab dabei, sondern nur eine abgeschabte Aktenmappe!
    Kurz: Die Fee-Nummer konnte ich ihr SO nicht abnehmen und blieb erst mal vorsichtig und neutral.
    Denn wenn sie keine Fee war, dann musste sie ja psychisch gestört sei n – man weiß ja, dass mit Schizophrenie nicht zu spaßen ist. Und dass man Psychotikern nicht einfach die Tür öffnen sollte, lernte man doch nun wirklich schon in jungen Jahren.



Andererseits: Das Rentier! Welche normal psychisch gestörten Menschen führen ein solches Tier mit sich! Ich jedenfalls kenne ein paar Irre mit Hunden oder Ratten oder Katzen, aber keinen einzigen mit einem Rentier. Vielleicht war Linda ja doch eine Fee. Ich beschloss, ihr unauffällig auf den Zahn zu fühlen:
    »Komisch. Ich dachte, zu dieser Zeit sind nur Weihnachtsmann und Nikolaus unterwegs. Müssen an Weihnachten etwa auch Feen arbeiten?« Ich schien mit dieser unschuldigen Frage genau das Falsche gesagt zu haben, denn die Fee brüllte sofort los: Dass alle Menschen tatsächlich glauben würden, Weihnachtsmann und Nikolaus würden die ganze Arbeit alleine machen! Und dass niemand wüsste, wie viele Mitarbeiter und Fachkräfte da mit am Werk wären! Und dass »die da oben« sich nicht gerade überarbeiten würden! Und dass der größte Teil der »weihnachtlichen Drecksarbeit« an den unteren Chargen hängen bliebe, an der »kleinen Fee von der Straße«, während sich Nikolaus und Weihnachtsmann mit ihren roten Mänteln dicke tun würden! Immer schön bequem im Schlitten
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