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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit
Autoren: Herbert Rosendorfer
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ein anderer Mandarin über die Schergen gebietet, ein Mandarin, dem vielleicht der Name Fa-kung nichts mehr sagt.
    Aber die Schergen verstanden mich natürlich ohnehin nicht. Der eine brüllte dann noch etwas – ich schüttelte immerzu den Kopf, bis sie begriffen, daß eine Unterhaltung zwischen uns nicht möglich war.
    Die grünen Schergen redeten eine Zeitlang miteinander. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich in ihren ziemlich flachen, nichtssagenden Mienen Ratlosigkeit zu erblicken meinte. Sie führten mich dann recht unsanft zu einem A-tao-Wagen, der dort in der Nähe stand. Es mag sein, daß sie mich unabsichtlich unsanft führten, denn die Riesen-Schergen konnten es vielleicht gar nicht anders. Sie hatten Hände, groß wie Palmwedel und ungelenk wie Kistenbretter. Sie schoben mich in den Eisen-A-tao. Ich hatte schreckliche Angst. Meine Reisetasche preßte ich an mich.
    Nun mußt Du, geliebter Dji-gu, verstehen, daß das alles, was hier Seite um Seite füllt, nur der Inhalt von vielleicht einer Viertelstunde war, wahrscheinlich von weniger als dem. Die fremden Eindrücke strömten an mir vorbei wie ein reißender Fluß, und das Tosen eilte über mich hinweg. Meine Erinnerung faßt nur wahllos einige Eindrücke auf. Es ist sicher, daß mir wichtige Zusammenhänge dieser ersten Zeit meines »Hier«-Seins entgingen. Aber wer sollte, wenn er auch noch so kühlen Geistes ist, in dieser Situation einen klaren, aufnahmefähigen Kopf bewahren?
    Ich erkannte, daß es keinen Sinn hatte, sich gegen die Verhaftung zu wehren. Ich ermannte mich, ich hoffte, daß die kaiserliche Gerechtigkeit nicht auch so niedergegangen war wie offensichtlich die allgemeinen Sitten, denn dann, konnte ich mir sagen, habe ich nichts zu befürchten. Ich war ja schuldlos. Außerdem ist der Zweck meiner Reise das Beobachten. Daß die Reise ein Risiko war, wußten wir ja lang. Daß ich allerdings zuallererst als Verbrecher behandelt würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber ich beschloß für mich: auch das gehört eben zu den Erfahrungen meiner Reise in die Zukunft.
    Im A-tao-Wagen der Schergen, offenbar ein Dienstfahrzeug, war es fürchterlich eng, eng wie in einer primitiven Sänfte. Aber immerhin war eine gut gepolsterte Bank vorhanden. Einer der grünen Schergen setzte sich neben mich, der andere verfügte sich weiter vorn hin, dort, wo das innere Rad war. Es stank schrecklich in dem Wagen, und als er mit unnennbarem Tosen und Rattern zu fahren begann, verlor ich wieder das Bewußtsein. Ich bin seitdem schon ein paar Mal mit solchen A-tao gefahren. Man gewöhnt sich an alles. Die ungeheure Schnelligkeit macht mich zwar nicht mehr bewußtlos, aber mit geöffneten Augen kann ich immer noch nicht fahren. Wenn die Häuser und Bäume draußen mit im wahrsten Sinn des Wortes unmenschlicher Geschwindigkeit vorbeisausen, ist es, als raffelte eine große Feile an meinem Vermögen, Eindrücke aufzunehmen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß den »hiesigen« Leuten diese große Feile der Schnelligkeit alle ihre feineren Empfindungen weggeschliffen hat. Vielleicht sind sie deshalb so ungeschlacht.
    Die beiden Schergen brachten mich in ein sehr großes, sehr dunkles Haus. Dort waren viele andere Schergen. Es gibt, scheint es, einige Dinge auf der Welt, die die Jahrtausende überdauern. Ich habe einmal, ich war damals in meinem zweiunddreißigsten Jahr und erst Kwan der Rangstufe A 7, als Angehöriger einer Hofkommission die Gefängnisse der Hafenstadt Hai-chou inspiziert. Das Charakteristische an den Gefängnissen erschien mir ein gewisser ranziger Geruch. Diesen Geruch stellte ich in dem Gebäude, in das ich gebracht wurde, wieder fest und erkannte es somit als Gefängnis. Gewisse Eigenschaften gewisser Dinge überdauern also die Jahrtausende. Es sind dies offenbar weder die besten Eigenschaften noch die besten Dinge.
    In dem Gefängnis, das offenbar gleichzeitig die Befehlszentrale der Schergen ist, wurde ich einem Ober-Schergen vorgeführt. Vorher hatte mir ein Scherge meine Reisetasche weggenommen und sie durchsucht. Als ich durch die langen, finsteren, ranzig riechenden Gänge geführt wurde, trug ein Scherge meine Reisetasche; gewiß nicht aus Höflichkeit.
    Dem Ober-Schergen gegenüber machte ich gar nicht mehr den Versuch einer Anrede. Ich schwieg und verbeugte mich nur immer ein wenig, wenn er etwas sagte. Er aber redete mich in der sehr lauten, harten und unmelodiösen Sprache unserer unglückseligen Nachkommen an. Auf seinem
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