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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Ford.
    Merkwürdig. Heute Morgen, als er den Stand aufgebaut hatte, waren zwei Beamte des Liegenschaftsamtes in einem städtischen VW-Bus vorgefahren und hatten die beiden Betonplatten vor seinem Stand aus dem Boden gestemmt und den nun freigelegten Treppeneingang mit zwei rot-weißen Kegeln abgesichert. Dann waren sie die Treppenstufen hinabgestiegen – und seither nicht mehr aufgetaucht.
    Keller wunderte sich. Er hatte schon öfter beobachtet, wie die beiden städtischen Angestellten den ehemaligen Bunker unter dem Marktplatz geöffnet und betreten hatten. Aber noch nie hatte ihre Inspektion so lange gedauert wie heute, der Eingang war jetzt seit Stunden offen. Meist hatten sie ihn wieder geschlossen, bevor die ersten Kunden auf dem Markt erschienen. Und noch nie hatten sie den VW-Bus so lange mit geöffneter Seitentür unbewacht hier stehen lassen.
    Warum heute?
    Er hatte in einem Buch, das ihm sein Sohn zum Geburtstag geschenkt hatte, gelesen, dass die Nazis 1940 innerhalb von nur vier Monaten den Stuttgarter Marktplatz unterbunkert und aus den Katakomben einen Luftschutzbunker gemacht hatten, in dem während des Krieges bis zu dreitausend Personen Schutz vor den alliierten Fliegerangriffen gesucht hatten. Nach dem Krieg eröffnete die Familie Zeller unter der zwei Meter dicken Stahlbetondecke ein Hotel. Es gab neunzig Zimmer zu günstigen Preisen. Da die Alliierten alle anderen Hotels beschlagnahmt hatten, war das Bunkerhotel für die Deutschen eine der wenigen Übernachtungsmöglichkeiten. In den Fünfzigerjahren wurde es gerne von Nachtschwärmern aufgesucht, da die Übernachtung im Bunker billiger war als das Taxi nach Hause. Erst 1985 wurde das Hotel wegen zu hoher Renovierungskosten geschlossen.
    Jetzt hatte das unterirdische Hotel lange ausgedient. Sein Sohn hatte ihm auch erzählt, dass dort eine Zeit lang Übungsräume für Rockbands vergeben wurden und dass hin und wieder ausgefallene Kunstausstellungen unter dem Marktplatz stattfanden. Von Kollegen wusste er, dass die Händler des Weihnachtsmarktes einzelne Zimmer gemietet hatten, in denen sie während des Jahres ihre Stände und Waren lagerten. Während des Weihnachtsmarktes wurden auch die unterirdischen Steckdosen genutzt, von denen aus durch einen schmalen Luftschacht Elektrokabel nach oben führten und die Buden der Händler mit Strom versorgten.
    Josef Keller lud noch einige Kisten Kopfsalat in den Ford und behielt den Bunkereingang im Auge. Merkwürdig war es schon, dass die Männer nicht wieder auftauchten.
    »Hast du die beiden Männer vom Liegenschaftsamt gesehen? Sind die wieder aus dem Bunker rausgekommen?«, fragte er schließlich seine Frau.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Er ließ den Blick über den Marktplatz streifen. Überall bauten die Bauern ihre Stände ab, packten Kisten in kleineLkws. In einer halben Stunde würde der Platz leer sein. Nur die Bunkertür stand noch immer offen.
    Ihn ging es ja nichts an.
    Komisch war es trotzdem.
    Ob den beiden irgendetwas passiert war?
    »Geh du doch mal nachgucken«, sagte seine Frau. »Ich mach das hier schon. Und mach dir keine Sorgen. Vielleicht müssen sie da unten was richten. Das kann ja dauern.«
    Aber doch nicht am Samstag, dachte er.
    Seine Frau konnte anpacken. Konnte sie immer schon. Keller nickte, und sie wuchtete zwei grüne Plastikbehälter Karotten in den Ford.
    Keller wischte sich die Hände an seiner blauen Arbeitsschürze ab. Dann ging er hinüber zu dem Eingang. Die Treppenstufen waren übersät mit Zigarettenkippen.
    Unten musste er den Kopf einziehen, als er die Stufen weiter hinunterging und vor der schweren Eisentür stehen blieb. Ihm kam es vor, als bewege sie sich leicht, als wolle sie ihn auffordern, einzutreten.
    So ein Unsinn, sagte er sich. Diese Eisentür kann sich nicht von alleine bewegen.
    Irgendetwas stimmte nicht.
    Was soll schon in dem Bunker sein, dachte er.
    Er war überrascht, wie schwer sich die Tür öffnen ließ.
    »Hallo?«
    Keller rief laut, auch um sein mulmiges Gefühl loszuwerden.
    Der Weg führte ihn um zwei Ecken, dann stand er in einem größeren Raum, von dem zwei weitere Gänge abzweigten.
    Er war erstaunt, wie lang diese Gänge waren. Sie mussten bis zum Spielwarengeschäft am Ende des Marktplatzes reichen. In jedem dieser beiden Gänge sah er dicht nebeneinander Tür an Tür – die Zimmer des alten Bunkerhotels.
    »Hallo«, rief er lauter und öffnete die erste Tür. Rosa Blümchentapete an der Wand. Eine Küchenlampe im Stil
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