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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi
Autoren: Brigitte Riebe
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inspizierte, bedächtig wie ein alter Mann, weil auch die kleinste Bewegung ihm noch immer Schmerzen bereitete, stieß er auf etwas, das ihn plötzlich innehalten ließ. Zuerst dachte Leo, er habe sich geirrt, und seine Phantasie habe ihm lediglich vorgegaukelt, was er zu sehen wünschte. Sein Blick glitt noch einmal prüfend über den Untergrund, um schließlich auf einer bestimmten Stelle zu verweilen. Leo trat näher, dann noch näher und kniff dabei die Augen zusammen. Kein Zweifel, da war es – jenes Zeichen, das die Botschaft des Heiligen weit hinaus in die Welt getragen hatte!
    Seine Finger berührten ein makelloses τ, dessen wohl ehemals kräftiger Rotton im Lauf der Zeit zu einem schwachen Rosa verblasst war. Erregung überkam ihn, sein innerliches Zittern verstärkte sich, und jetzt musste er sich an der Wand anlehnen.

    Das verrottende Kirchlein war nichts anderes als die Portiuncula, die Urkirche sozusagen, in der Franziskus mit den ersten Brüdern gelebt und gebetet hatte. Hier, in Santa Maria degli Angeli, hatte er Klara mit eigenen Händen das Haar abgeschnitten, ihr hier die grobe Kutte übergestreift.
    Der Heilige selbst hatte ihm den Aussätzigen geschickt, um ihn auf die Probe zu stellen! Und wie ein blinder und zugleich tauber Sünder hatte Bruder Leo sein Herz vor dem Bedürftigen verschlossen. Dabei hatte der Lepröse ihn doch hierhergeführt, zu diesem auserwählten Ort, dessen einstige Heiligkeit nun in Schmutz und Verlassenheit unterzugehen drohte.
    Der Kopfschmerz war mit einem Mal wie weggeblasen, und auch irdische Bedürfnisse wie Hunger oder Durst spürte Leo nicht mehr. Ein heiliges Feuer hatte ihn erfasst, sein Herz entflammt und all seine Sinne ergriffen. Während bald schon die große Grabkirche in Assisi in Anwesenheit des Heiligen Vaters feierlich geweiht werden sollte, verfiel hier scheinbar unbemerkt, was die Minoriten eigentlich ausmachte! Er war nicht einen Augenblick zu früh gekommen. Und sein Weg, das wurde ihm spätestens in diesem Moment klar, würde vermutlich viel weiter und dornenreicher sein, als er anfangs geglaubt hatte.
    Leo ging hinaus, aufrecht, voller Ungeduld, wie es seine Art war. Fidelis schien schon auf ihn gewartet zu haben und trabte ihm mit wehendem Schweif entgegen.
    Nach einem kurzen Ritt durch Felder und einen kleinen Laubwald ging es bergauf, dem Kloster San Damiano entgegen. Leo genoss die erfrischende Kühle des grünen Laubdaches, das die erneut auftretenden Schmerzen leicht dämpfte. Die Sonne war höher gewandert und besaß erstaunliche Kraft. Das ganze Land schien von ihr erfüllt, der
Boden, die Luft, jede einzelne Pflanze, die am Wegrand wuchs.
    Vor dem Konvent saß er ab und band Fidelis an eine Zypresse. Rötlicher Naturstein erhob sich vor ihm, perfekt geschichtet wie auch die Mauern und kleinen Häuser, an denen er unterwegs vorbeigekommen war. Hier hatte der Heilige den Ruf des Kreuzes vernommen, hier mit den eigenen Händen gegen den Verfall des alten Gotteshauses gekämpft, hier, wie manche sagten, seine berührende Hymne an alle Kreaturen verfasst.
    Ein Gefühl heiliger Scheu überfiel Leo, als er langsam zur Pforte schritt. Ob die Schwestern ihn bereits erwarteten?
    Sein Besuch war schriftlich angekündigt worden, doch Länge und Gefahren des Weges hatten keine allzu genaue Datierung zugelassen, ein Umstand, den er nur allzu gern in Kauf genommen hatte. Ein gewisses Maß an Überraschung tat stets gut, das hatten ihn andere Visitationen bereits gelehrt. Allerdings hatte sein Fuß niemals zuvor so heiligen Boden betreten.
    Auf sein Klopfen an der Pforte hin geschah zuerst einmal nichts. Prüfend glitt sein Blick zur Sonne, um genauer abzuschätzen, welche Stunde es wohl sein mochte. Seiner Vermutung nach war der Mittag bereits eine Weile überschritten, das bedeutete, dass die Non bereits gebetet sein musste und die Vesper noch nicht allzu bald beginnen würde. Eigentlich sollten die frommen Schwestern jetzt alle bei der Arbeit sein. Und dennoch glaubte er, leisen Gesang zu hören, der aus der kleinen Kirche drang.
    Ein lokaler Feiertag, von dem er nichts wusste?
    Leo, dem alle monastischen Stundengebete längst in Fleisch und Blut übergegangen waren, konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Er klopfte abermals, länger und stärker, doch wieder blieb alles ruhig.

    Ob sie jeglichen Besuch ablehnten?
    Er wusste von der strengen Klausur, die der Heilige Vater Klara und ihren Mitschwestern auferlegt hatte, doch das galt nicht für
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