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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi
Autoren: Brigitte Riebe
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bei ihrer ersten Begegnung voller Liebe begrüßt und danach immer wieder, solange er bei ihr geblieben war. Ist er doch noch einmal zurückgekommen, jetzt, wo sie endlich sehend geworden war?
    Obwohl der Regen erneut eingesetzt hatte, der seit Wochen die Bäche und Flüsse anschwellen ließ, nahm sie auf
einmal mit allen Sinnen den fortgeschrittenen Frühling wahr, der in diesem Jahr verspätet gekommen war, beinahe verstohlen nach einem langen, ungewöhnlich harten Winter. Gras und Blumen roch sie, als läge sie wieder, geschützt von Getreideähren, die sich über ihnen leise im Wind wiegten, mit ihm auf dem warmen Boden, die Glieder ineinander verschlungen, als seien sie ein einziges Lebewesen mit vier Armen und vier Beinen. An der Hüfte spürte sie jenen unnachahmlich sanften Druck, dieses Werben und Drängen, dem sie bald schon voller Verlangen nachgeben würde, die Seide seiner Haut, die Süße seines Kusses.
    Sie waren vereint.
    Ein Gefühl, so überwältigend, dass sie darüber alles andere vergaß, sogar ihre Todesangst und den Schatten, der sie verfolgt und die steile Steintreppe nach unten getrieben hatte, bis zu dem Felsvorsprung, auf dem sie nun stand. Alles in ihr wurde weich. Sogar der harte Knoten aus Hass und Rache, der ihr Herz so lange zusammengepresst hatte, brach auf. Doch kein Gift ergoss sich daraus, sondern es war ein milder, warmer Strom, der sich tröstlich und heilend anfühlte.
    In diesem Moment erfolgte der Stoß.
    Ohne den Hauch einer Gegenwehr rutschte sie auf den Abgrund zu. Nichts, was sie noch gehalten hätte.
    Sie kippte, stürzte nach vorn.
    Schon halb im Fallen riss sie ungläubig die Augen auf, doch die Schwärze hinter ihr war so undurchdringlich, dass sie nichts erkennen konnte.
    Dennoch wusste sie auf einmal, wer es gewesen sein musste. Es gab nur einen Einzigen, der dafür infrage kam. Das Letzte, was sie hörte, war das Geräusch riesiger Schwingen, so gewaltig, dass ihr die Ohren zu dröhnen begannen.

    Sie schlug unten auf, die Lippen halb geöffnet, als wollte sie noch etwas rufen, zerschmettert auf dem harten Untergrund, als wäre ihr Körper nichts gewesen denn eine nutzlose Hülle.
    Eine Hand zeigte gen Himmel.
    Im bleichen Licht des aufgehenden Mondes war ihr entstelltes Gesicht beinahe schön.

Erstes Buch
VERHEISSUNG

Eins
    I n der ersten Dämmerung wirkte der große See wie verwunschen, so spiegelglatt war seine Oberfläche. Endlich hatte auch der Regen aufgehört, der auf dem Ritt nach Süden so lange sein lästiger Begleiter gewesen war. Der Morgenhimmel über ihm war muschelgrau und wolkenlos. Zartes Rot im Osten verkündete bereits den Sonnenaufgang. Sogar das dichte Schilf ringsum schien bewegungslos, bis nach einiger Zeit ein Blesshuhn aufflog und mit seinem rostigen Schrei die heilige Ruhe zerriss.
    Jetzt gab es keine Ausflucht mehr, noch länger zu warten.
    Entschlossen legte er seine Kleider ab, faltete sie zusammen und ging zum Wasser. Die ersten Schritte hinein machte er so schnell, dass er kaum etwas spürte, doch als die Wellen erst einmal seine Schenkel benetzt hatten, drang der unbarmherzige Biss der Kälte bis in sein Innerstes. Alles in ihm zog sich voller Abwehr zusammen. Für einen Augenblick war er versucht, umzukehren und hinaus ins Trockene zu flüchten, dann jedoch überwand er sich, warf sich mit einem Satz bäuchlings ins Wasser und tauchte unter.
    Prustend kam er wieder nach oben und begann mit kräftigen Zügen loszuschwimmen, genauso wie sein Bruder Ulrich es ihm vor langen Jahren in einem eisigen Bach nahe der elterlichen Burg beigebracht hatte. Nach und nach schwand die anfängliche Betäubung seiner Gliedmaßen,
und ihm wurde wärmer. Als die Isola Maggiore, auf der der heilige Franziskus nach dem Vorbild Jesu vierzig Tage gebetet und gefastet hatte, ein ganzes Stück näher gerückt war, drehte er sich auf den Rücken und ließ sich ein Stück treiben.
    Voller Erstaunen sah er an sich hinab.
    Die Wochen im Sattel hatten seine Erscheinung verändert. Nicht nur die Schenkel waren schlanker und doch muskulöser geworden, auch der schlaffe Bauch der Wintermonate war gänzlich verschwunden. Alles an ihm wirkte sehnig und straff; ein Körper, der einem deutlich Jüngeren hätte gehören können, einem Mann, der gern jagte und sich mit all dem vergnügte, was sein privilegierter Stand für ihn bereithielt – ein Mann, wie er früher einer gewesen war.
    Für einen Moment empfand er beinahe so etwas wie Stolz, den er freilich rasch wieder
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