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Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Autoren: Berte Bratt
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würde also mit dem Nachmittagsbus eintreffen.
    Ich mußte über mich selber lachen. Da stand ich und hatte wahrhaftig Herzklopfen - Herzklopfen wegen Tony! Tony, mit dem ich Federball gespielt, mich geschlagen, mich gezankt hatte und mit dem zusammen ich in die Berge gegangen war; Tony, mit dem ich aus dem Keller seiner Eltern Pfirsichmarmelade gestohlen hatte; Tony, der einmal eine weiße Maus in den Ausschnitt meines Kleides gesteckt hatte. was in aller Welt hatte mich gepackt?
    Ich hörte langsam den Bus nahen, und wie er sich im ersten Gang um die letzte Kurve herumquälte. Und dann kam er in Sicht.
    Gleich darauf erblickte ich Tony, und mein Herzklopfen wurde einfach aufdringlich. Wie recht Tante Cosima hatte! Tony war nicht nur ein hübscher Kerl geworden, er war einfach bildschön. Und wie breitschultrig er war! So erwachsen, so.
    Noch hatte er mich nicht entdeckt. An der Tür blieb er stehen und streckte die Hand aus, um jemandem hinauszuhelfen. Einem jungen Mädchen. Einem sehr gut aussehenden jungen Mädchen, es war viel größer als ich - dazu gehört im übrigen nicht viel - , einem jungen Mädchen mit kastanienbraunem Haar, einem traumhaften Reisekostüm und schlanken Beinen in Schuhen mit Pfennigabsätzen.
    Mich durchfuhr ein Gefühl des Unbehagens. Doch dann überlegte ich: es konnte sich ja um eine zufällige Reisebekanntschaft handeln, und es war nicht das erstemal, daß sich Tony Touristen gegenüber höflich erwies.
    Aber nein. wenn es sich wirklich nur um Höflichkeit handelte, so ging sie ziemlich weit. Denn keine Höflichkeit auf Erden konnte Tony vorschreiben, den Arm um die Schultern einer jungen Dame zu legen und mit der anderen Hand vorsichtig eine kastanienbraune Strähne aus ihrer Stirn zu streichen.
    Jetzt fühlte ich mich ganz und gar nicht wohl. Ich kam mir sehr klein, sehr unschick und sehr langweilig vor in meinen alten langen Hosen vom letzten Jahr und meinen bequemsten, ausgetretenen Sandalen und mit einem Band um meinen dunklen Wuschelkopf.
    Jetzt sah mich Tony. Er ließ das bildschöne Mädchen los, und sein Gesicht strahlte, als er mit ausgestreckter Hand auf mich zukam.
    „Was, Bernadette, bist du da, mein Mädchen! Wie schön, dich wiederzusehen! Bist du schon lange hier?“
    „Seit gestern. Aber Tony, wie groß du geworden bist!“
    Er sprach französisch mit mir, und ich antwortete auf italienisch. Tonys Eltern sind Italiener, und wir hatten immer italienisch miteinander gesprochen.
    Es kam mir merkwürdig fremd vor, daß er in einer anderen Sprache mit mir redete.
    „Groß?“ rief er lachend. „Ja, von dir kann ich das aber nicht behaupten; du bist noch immer das gleiche kleine Püppchen.“ Er wandte sich zu dem fremden Mädchen um.
    „Chérie, das hier ist Bernadette, meine beste Jugendfreundin. Weißt du, die einmal eine Schüssel mit Wasser über mich goß, nachdem ich ihr eine weiße Maus ins Kleid gesteckt hatte. Bernadette, das ist Corinne Rameau, direkt aus Paris importiert, die große Überraschung für meine Eltern; laß mir deine Tasche, Corinne, damit du Bernadette die Hand geben kannst.“
    Eine schmale Hand mit langen, perlmuttfarben lackierten Nägeln ergriff meine derbere mit den kurzgeschnittenen Nägeln und den Spuren des Gemüseputzens vom Vormittag.
    Es durchzuckte mich - „tu“ - Tony hatte „du“ zu Corinne gesagt. Ich wußte ganz genau, wie vertraut das französische „tu“ ist. Es war ja eine ganz besondere Vergünstigung, daß ich Grand’mere mit „tu“ anreden durfte.
    „Willkommen in Villeverte, Madame“, sagte ich auf französisch.
    Tony lachte auf.
    „Corinne ist keine Madame - noch nicht! Aber du hast richtig geraten, Bernadette, sie wird es bald. Hast du nicht Lust, die erste zu sein, die uns gratuliert?“
    Lust? Ich hatte Lust, Corinne die Augen mit ihren eigenen Pfennigabsätzen auszukratzen.
    „Was für eine Überraschung, Tony!“ rief ich. „Ich gratuliere dir herzlich!“ Es ist unglaublich, was eine Frau an Selbstbeherrschung aufzubringen vermag, wenn es sein muß. Und nun mußte es sein!
    „Wie schön, daß du den Wagen dabei hast, Bernadette; dann können wir gleich unser Gepäck drauflegen.“ Auch das noch!
    Aber da stand ich, lächelnd und hilfsbereit, nahm Tonys braunen Koffer, einen schneeweißen Lederkoffer, ein ebenso schneeweißes Toilettenköfferchen und einen rosa Mantel in einer Plastikhülle in Empfang.
    Das Paket für Tante Cosima hätte ich vergessen, hätte mich nicht Alexander angerufen. Auf dem
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