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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin
Autoren: Jo Clayton
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weißen Haars über den Ohren, dem runden Gesicht und den langsamen Bewegungen der Lider kam er Aituatea wie ein Uhu vor. Eine Zungenspitze in hellem Rosabraun war dem Alten über die fahlen Lippen geglitten. Alles stirbt zu seiner Zeit, hatte er geantwortet.
    Hotea stieß einen verhaltenen Fauchlaut aus. Aituatea betrachtete seine Hände, empfand eine niederträchtige Befriedigung. Um so etwas zu hören, hatte Hotea den Alten nicht aufgesucht, solche Sprüche konnte er in jedem Buch gesammelter Weisheiten nachlesen. Jenes Weib nicht, hielt sie dem Greis entgegen, ihre Stimme knisterte vor Ungeduld. Nicht solange es junges Blut gibt, das sie nährt.
    Auch sie, hatte der Alte beharrt.
    Ich will sie tot, Alter! wiederholte Hotea. Ich will sie tot sehen. Hoteas Hände vollführten ruhelos knappe, flinke, unvollständige Gebärden, als versuche sie, dadurch irgendeinen Beweggrund aufzudecken, der ihn dazu bringen könnte, gegen seine Einstellung zu handeln. Hör zu, sagte sie, Temueng-Kinder haben den Tod gefunden. Meinst du denn, man wird uns Hina dafür nicht büßen lassen? Für jedes Kind werden zehn Hina dran glauben müssen. Wir sind an allem schuld, Alter, ob wir wirklich etwas anstellen oder nicht. Sie können sich ja nicht irren, sie sind die Eroberer, nicht wahr? Und im übrigen: Läßt man die Hexe unbehelligt, wie lange wird's dauern, bis sie auf Utar-Selt jeden ausgesaugt hat? Für einen Augenblick blieb Hotea still; danach erreichte ihre lautlose Stimme Aituateas Kopf noch leiser als gewöhnlich, eine Reihe stummer Nichttöne. Lehre uns, Alter, sagte sie, lehre uns, wie man es mit einer Kadda-Hexe aufnimmt und sie tötet!
    Ein Dutzend Herzschläge lang musterte der Greis sie, dann richtete er den unbarmherzigen Blick auf Aituatea. Seine Augen schienen anzuschwellen, immer größer zu werden, bis Aituatea scheinbar nichts anderes mehr sah. Er fühlte sich allmählich so, als müsse er traurig vor sich hinweinen, während diese Augen seine Seele erforschten, Furcht und Unrat bloßlegten, sämtliche schäbige Gemeinheiten, die er seinen Freunden und seiner Schwester angetan, die ganzen Häßlichkeiten, die er tief im Gedächtnis vergraben und an die sich zu erinnern sich geweigert hatte.
    Während er in die Augen des Alten starrte, begriff er endlich — wie durch einen Zwang —, daß er niemals irgend etwas gegen die Kadda-Hexe unternehmen würde, ohne daß jemand anderes die Hauptgefahr eines solchen Unterfangens trug, er jedes diesbezügliche Handeln immer und immer wieder aufschieben, der Lauf der Jahre ihn stets bösartiger machen würde, seine Schwester immerzu noch unerträglicher.
    Der Greis lehnte sich zurück, das runzlige Gesicht, nachdem er die Furcht, den Selbstabscheu Aituateas geschaut hatte, erfüllt von Schmerz. Er sank zusammen, schien zu schrumpfen, die Augen wurden glasig. Eine Kadda-Hexe, raunte er, eine Blutsäuferin, sie erkennt keinen außer dem eigenen Willen an, sie ist böse, läßt keine Rechte gelten, die mit ihren Bedürfnissen unvereinbar sind ... Ich sehe ... Es gibt ein Mittel wider sie ... Ich sehe ... Er zuckte, zog sich weiter in sich zurück. Macht, murmelte er, eine andere Macht tritt auf ... ein alter Gegner ... Langsam schweiften seine Augen umher, aber sie sahen von allem im Innern der Hütte nichts. Aituatea spürte, wie sich ihm der Magen zusam-menkrampfte. Jemand kommt, sagte der Alte, seine Stimme sank herab zu einem heiseren Flüstern. Eine Frau ... jemand wie die Hexe ... sie gleicht ihr ... nein, sie ist etwas anderes ... sie trinkt kein Blut, sondern Leben ... weder ist sie böse noch gut ... die Seelentrinkerin kommt am Vorabend des Godalau-Fests. Sendet sie wider die Hexe, laßt sie sie aufspüren, kauft sie mit Das'n vuor, laßt sie die Hexe angehen. Sie trifft beim Aufgang des Wunden Monds ein und reist ab, bevor die Sonne aufgeht. Nach vielen, vielen Jahren kommt die Seelentrinkerin wieder nach Silili ... nach hundert Jahren ... Ah! Ihre Zwecke vermischen sich mit deinen Absichten, erzürnter Geist. Er brabbelte noch einiges, doch von nun an konnte man seine Worte, durchsetzt mit gelegentlichem Auflachen, nicht mehr verstehen. Es hatte den Anschein, als fände er nur allmählich in seinen gewohnten Zustand der Wortkargheit zurück, sähe währenddessen etwas Lustiges, das sein Rückfinden in die Gegenwart verzögerte. Aituatea saß starr und voller Grausen da. Drei Monate Aufschub; dann mußte er die Auseinandersetzung mit der Hexe wagen oder sich dem
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