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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Autoren: Im Sommer der Mörder
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nickte und sagte, ich komm in fünfzehn Jahren, denn so lange gehst du in den Bau, dafür sorge ich, fünfzehn Jahre, wegen der Standpunkte. Er lächelte, sprach erneut. Sie wollte schon den Kopf schütteln, weil sie kein Wort verstanden hatte, als sie seinen Blick sah und begriff, was er ihr zu sagen versuchte.

    Komm mit mir.
    Sie schüttelte den Kopf. Der Standpunkt, sagte sie, der ist mir wichtig. Wer bin ich ohne meinen Standpunkt? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der Standpunkt nichts mehr zählt, dass die Toten, die Morde nichts mehr zählen, nur weil jetzt gleich alles vorbei ist?
    Über Marcels Lippen glitt ein dunkles Lächeln, dann reichte er ihr die Umhängetasche. Sie wusste nicht recht, was sie da tat, doch plötzlich hielt sie ihre Pistole in der Hand, spannte den Hahn, die gute, alte, schwere Walther P5, ein Auslaufmodell, aber wenn man sich daran gewöhnt hatte … Die Calambert-Waffe. Hatte Schlimmes angerichtet, aber das lag ja nicht an der Waffe.
    Sie setzte Marcel die Mündung an die Stirn.
    Seine Augen verengten sich. Ja, das gelang ihr doch immer wieder, Marcel überraschen. Langsam standen sie auf. Marcel sprach, sie zuckte die Achseln. Sie hörte nicht mehr, wollte, konnte nicht mehr hören. Hörte nur noch den infernalischen Lärm der Rotoren und eine Stimme in ihrem Kopf, die gebetsmühlenartig und wie entfesselt über Logik und Standpunkte sprach, Wörter in ihrem Bewusstsein herumwarf, Wörter wie Ziegelsteine, jedes Wort ein dumpfer Schmerz. Sie legte den freien Arm um Marcels Hals, zog seinen Kopf an sich, starrte in seine warnenden Augen, das muss jetzt sein, mein Lieber, jetzt jage ich dir eine Kugel in den Kopf, jetzt bist du mal Shahida, und ich bin du. Schauer liefen über ihre Schläfen, ihre Arme, ihren Rücken, sie kannte diesen Moment, war es mit Calambert nicht ähnlich gewesen? Nur war sie nicht so dicht bei ihm gewesen, den hatte sie nicht berühren wollen, den hatte sie nur töten wollen, und der hatte ja auch eine Waffe gehabt.
    Anders Marcel, den sie gern berührte und nicht so gern töten würde, aber jetzt bist du mal Shahida zum Beispiel, und ich bin du. Aus dem Augenwinkel nahm sie Bewegungen wahr, verschwommen sah sie den Mann mit dem Gewehr näher kommen, ein kleines, dunkles Etwas zeigte auf sie, dahinter ein aufgerissener Mund in einer schwarzen Maske, aber sie ignorierte den brüllenden Mann und das Gewehr, durch den Schmerz in ihrem Kopf würde keine Kugel dringen, der Schmerz schützte sie, der Schmerz, der plötzlich in ihrem Bauch war, links in ihrem Bauch, sie schloss die Augen und legte den Kopf auf Marcels Schulter und bat ihn, es nicht zu tun, senkte den Arm mit der Waffe, tu das nicht, wie kannst du das tun, ich hätte es doch auch nicht getan, ich hätte doch am Ende nicht geschossen, wie kannst du das nur tun. Sie ließ die Pistole fallen und schlang die Arme um ihn, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. Marcel hielt sie. Der Schmerz in ihrem Bauch wuchs kalt und beißend, dann war das Messer plötzlich fort, und sie spürte Marcels Hand an der Wunde und begann beim Weinen zu lachen, links, immer links, das drohte zur Gewohnheit zu werden, und dass Marcel erst ein Messer in ihren Bauch stieß und dann versuchte, das Blut zu stoppen, das war nun auch irgendwie komisch. Sie spürte noch, dass er sie vorsichtig aufs Gras legte, dass er ihr T-Shirt nach oben schob, sah noch einmal den vermummten Kopf dicht vor ihren Augen, die Lippen, die schon wieder etwas sagten, das sie beim besten Willen nicht verstand, dann war es endlich vorbei, dann war all das endlich vorbei.

    24
    WIRRE, VERSCHWOMMENE TAGE FOLGTEN. Ein
    Wochenende im Krankenhaus, vor allem wegen der Erschöpfung, weniger wegen der Wunde. Die Wunde war nicht tief und schon gar nicht lebensgefährlich. Marcel schien darauf geachtet zu haben, dass er sie nicht allzu schwer verletzte. Er hatte erreichen wollen, dass sie aufgab, nicht mehr. Dann hatte er die Wunde notdürftig verbunden.
    Während fremde und vertraute Gesichter um sie herum auftauchten und wieder verschwanden, versuchte sie zu verstehen, was in den letzten Minuten auf der Lichtung geschehen war. Hatte Marcel ihr womöglich das Leben gerettet?
    War er davon ausgegangen, dass der Mann mit dem Gewehr schießen würde?
    Noch mehr Fragen, auf die sie nie eine Antwort erhalten würde.

    Rolf Bermann, Thomas Ilic, Anne Wallmer kamen, auch Almenbroich, aber kaum einen von ihnen nahm sie wirklich wahr. Sie nickte, murmelte etwas, nickte im
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